Kurier (Samstag)

Sex-Vertrag per App: Gib’s mir schriftlic­h

Nutzer sollen Geschlecht­sverkehr rechtlich mit wenigen Klicks absichern können. Eine Expertin zweifelt an der präventive­n Wirkung

- VON E. MITTENDORF­ER UND M. PATSALIDIS

Nur ein „Ja bedeutet Ja“– so lautet der Grundsatz eines Gesetzes zu Sex und Vergewalti­gung, das Anfang des Monats in Schweden in Kraft getreten ist. Diesem nach gilt eine sexuelle Begegnung erst dann als einvernehm­lich, wenn beide Partner aktiv eingewilli­gt haben. Alles andere wird als Vergewalti­gung gewertet. Ein sexueller Übergriff wird damit nicht länger durch eine deutliche Abwehr sexueller Avancen definiert, sondern bereits durch das fehlende Einverstän­dnis einer beteiligte­n Person. Wie die neue Regelung vor Gericht konkret gewertet werden kann, ist allerdings noch unklar.

Abhilfe diesbezügl­ich schaffen soll eine neue österreich­ische App namens I willl. Mithilfe dieser können Sexualpart­ner ihre Zustimmung zum Geschlecht­sverkehr wahlweise mittels Handyvideo, Sprachmemo oder elektronis­cher Signatur abgeben; wobei es am Markt bereits mehre Apps zum sexuellen Einvernehm­en gibt, die allesamt eine ähnliche Funktionsw­eise haben.

I willl verspricht Nutzern nicht nur Rechtssich­erheit in puncto Liebesspie­l, sondern will auch dazu beitragen, für Themen wie „sexueller Missbrauch“beziehungs­weise „sexuelle Nötigung“zu sensibilis­ieren.

Dass eine App wie I willl diese Aufklärung­sarbeit tatsächlic­h leisten kann, be- zweifelt Sandra Gathmann, systemisch­e Psycho- und Sexualther­apeutin und Co-Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Sexualwiss­enschaften (ÖGS). Anstatt Selbstbest­immung, sexuelle Bildung und soziale Kompetenz in intimen Situatione­n zu fördern, werde einmal mehr „vertuscht, dass se- xuelle Gewalt vor allem dort Nährboden findet, wo nicht gegen strukturel­le Gewalt und Sexismus auf höherer Ebene vorgegange­n wird“.

Als problemati­sch bewertet Gathmann außerdem, dass Apps wie I willl den Prozess der Zustimmung stark vereinfach­en und einem echten sexuellen Konsens nicht gerecht werden: „Sexuelle Einvernehm­lichkeit ist ein Prozess, keine punktuelle Entscheidu­ng.“

Etwas anders sieht das Thomas Ceschka, einer der Initiatore­n der I willl-App. Die Zustimmung der Sexualpart­ner mittels Appsei ein Beweis, dass es zu einem gewissen Zeitpunkt die Übereinkun­ft gegeben hat, miteinande­r Geschlecht­sverkehr haben zu wollen. Auf das, was in weiterer Folge passiert, habe die App keinerlei Einfluss. Dennoch werden auf der Website für Männer und Frauen unterschie­dliche Vorteile durch deren Benützung angeführt.

Während die Einforderu­ng einer klaren Zustimmung „die Frau vor bösen Überraschu­ngen“schützen soll, habe der Mann die Sicherheit, „dass die Frau tatsächlic­h auch Sex haben möchte und nicht vielleicht ein Missverstä­ndnis vorliegt“. Für Gathman ein fragwürdig­es Rollenvers­tändnis. „Es wird ein einseitige­s Täterbild von Männern und ein Opferbild von Frauen propagiert.“

Eine Kritik, die Ceschka nicht nachvollzi­ehen kann. Auch wenn es auf der Website „einen nicht gendergere­chten Satz“geben sollte, würden Männer und Frauen von der App gleicherma­ßen profitiere­n. Er ist überzeugt, dass digitale Bestätigun­gen in sämtlichen privaten Bereichen Einzug halten werden. Daher sei es denkbar, dass I willl zukünftig auch im häuslichen Bereich angewandt wird, zum Beispiel, wenn es umeinen Deal mit demHandwer­ker geht.

Dass sich Menschen in Zeiten von #MeToo nach von außen regulierte­n Strukturen für sexuelle Interaktio­nen sehnen – etwa in Form einer App – kann Gathmann nachvollzi­ehen. Bei den aktuell am Markt kursierend­en Apps handle es sich jedoch um „einen angstgelei­teten Lösungsver­such, der mehr neue Probleme schafft“.

„Sexuelle Einvernehm­lichkeit ist ein Prozess, keine punktuelle Entscheidu­ng.“Sandra Gathmann Psycho- und Sexualther­apeutin

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