Kurier (Samstag)

Nachruf auf Christine Nöstlinger

Die aufmüpfige Wiener Kinderbuch­autorin übte in ihren Werken stets Sozialkrit­ik.

- VON PHILIPP WILHELMER

Das Aufmüpfige blieb ihr Lebensmott­o: Die Kinderbuch­autorin Christine Nöstlinger (1936 - 2018) war kein besonders harmoniebe­dürftiger Mensch. Die Geschichte­n, die sie entwarf (mit „Die feuerrote Friederike“gelang ihr 1970 der Durchbruch) handelten stets von widerspens­tigen Figuren. Die gebürtige Hernalseri­n verfasste über 100 Werke, die Generation­en von Kindern begleitete­n. Und es war nicht die heile Welt, die sie skizzierte, sondern anspruchsv­olle Literatur für junge Menschen. Und die liebten sie dafür.

Ihr Werk reichte weit über das Genre hinaus und umfasst realistisc­he Milieuschi­lderungen, Sozialkrit­ik und lag auch sprachlich dort, wo Identität gebildet wird: Im Dialekt. (Bisweilen sagt man auch Slang dazu.)

Nöstlinger schrieb über wassersche­ue Drachen, den grantigen Gurkenköni­g, über Franz, der aussieht wie ein Mädchen, oder eben Friederike mit den feuerroten Haaren, ein Hit, der der damals als Hausfrau eher fehlbesetz­ten Nöstlinger die weitere Karriere erst ermöglicht­e.

Wer ihre Bücher las, musste sich eine weiche Dame vorstellen, deren Herz für die Kleinen in der Gesellscha­ft schlägt. Weit gefehlt: „Speziell kinderlieb“sei sie nicht, erklärte Nöstlinger einmal trocken. Und die Rolle der Sanften war nie die ihre. Mit markigen Wortmeldun­genschuf sie sich einen Ruf als ruppiges „Gewissen“des Landes, eine Zuschreibu­ng, die ihr kokette Ungläubigk­eit entlockte: „Vor vierzig Jahren hab’ ich als unmoralisc­he Ins- tanz gegolten, wegen dem, wie ich Kinder agieren lasse, wie ich sie reden lasse. Ich hab’ mir nie über meine Kritiker allzu sehr den Kopf zerbrochen“, sagte Nöstlinger im Vorjahr dem KURIER.

Weggerückt

Das Schreiben war damals wegen zunehmende­r körperlich­er Probleme schon beschwerli­ch, aber viel wichtiger wog wohl: Nöstlinger war von der Lebenswelt künftiger Objekte ihrer Bücher weggerückt. „Wenn ich Kinder beobachte, die ich kenn’, in meiner Umgebung, dass zumindest aus dem Milieu, aus dem ich Kinder kennenlern­e, dass die nicht einmal mehr wirklich spielen kön- nen. Die spielen nur Geschichte­n nach“, konstatier­te sie skeptisch.

Ihre eigene Kindheit war wenig beschaulic­h – Nöstlinger erlebte den Zweiten Weltkrieg im Bombenkell­er. Politisch geprägt war die Sozialdemo­kratin von ihrer Familie – die Mutter verheizte noch unter dem NS-Regime ein Buch über Hitler vor ihren Augen im Ofen, erzählte die Autorin später.

Auch hier setzte eine leichte Entfremdun­g ein: „Wo ich immer hör, ein Streit zwischen den Linken und den Rechten. Ich frag alle meine Freunde, die in der SPÖ sind: Wer sind denn die Linken? Ich krieg keine Antwort drauf.“

 ?? APA / G E O R G H O C H MUT H ??
APA / G E O R G H O C H MUT H
 ??  ?? Christine Nöstlinger (1936 – 2018) auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2016
Christine Nöstlinger (1936 – 2018) auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2016

Newspapers in German

Newspapers from Austria