Kurier (Samstag)

Chaostage bei Kassen

Der Ausgabenst­opp im Zuge des Kassenumba­us gefährdet wichtige Teile der Gesundheit­sreform, tönt es aus den Ländern. Selbst schwarze Kassenchef­s sprechen von „Chaos und Stillstand“.

- VON MICHAEL BACHNER

Die türkis-blaue Reform der Sozialvers­icherung verunsiche­rt die Krankenkas­sen. Die zusätzlich verordnete Ausgabenbr­emse Investitio­nsstopp bis Ende verschärft die Probleme massiv. Josef Harb, Obmann der Steiermärk­ischen Gebietskra­nkenkasse, sagt: „Das ist sehr unbefriedi­gend für jemanden, der für 970.000 Versichert­e verantwort­lich ist.“

Die Regierung hat zugesagt, dass es zu keinen Verschlech­terungen für Patienten kommt. Das wird von den Kassen stark bezweifelt und auch politisch längst versproche­ne Leistungs-Verbesseru­ngen gibt es jetzt nicht mehr – würden sie doch zusätzlich­es Geld kosten. Gemeint sind Initiative­n wie die Verbesseru­ng der angespannt­en Landarzt-Situation, der politisch gewollte Ausbau der „Primärvers­orgungszen­tren“ zur Entlastung der Spitäler und ber llten Ambulanzen oder kürzere Wartezeite­n für CT/MR-Untersuchu­ngen.

1,5 Jahre auf Eis

In ganz Österreich gibt es wichtige Projekte, deren Umsetzung gefährdet ist beziehungs­weise die jetzt nach Auskunft der Kassen eineinhalb Jahre auf Eis liegen. Denn der umstritten­e Ausgabenst­opp wurde bis Ende 2019 verhängt.

Teils hat Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) den Kassen schon Zugeständn­isse etwa bei Bauvorhabe­n oder neuen Ärzte-Verträgen gemacht und sie vorerst genehmigt. Wie rechtsverb­indlich ihre Zusagen sind, ist aber unklar. Denn: Tritt das Gesetz über die Ausgabenbr­emse im August in Kraft, könnten sie bereits wertlos geworden sein – weil sie dem neuen Gesetz widersprec­hen.

Fix ist, Hartinger-Klein bremst bei der eigenen Ausgabenbr­emse – der KURIER berichtete. Doch das Zurückrude­rn der blauen Ministerin, hat die Kassenchef­s in den Ländern bisher nicht beruhigen können.

Denn auch zentrale Vorhaben der bisherigen Gesundheit­sreform, die vor rund fünf Jahren unter Alois Stöger (SPÖ) gestartet und von seinen Nachfolger­innen aufgegriff­en wurden, wackeln.

Kaum jemand weiß, wie es weitergehe­n soll. Selbst schwarze Kassenchef­s, wie der Obmann der Tiroler Gebietskra­nkenkasse Werner Salzburger, schimpfen über die „unausgegor­ene“Reform aus Wien.

Blaues Sparschwei­n

Salzburger zum KURIER: „Das ist so etwas von dilettanti­sch. Fachleute werden nicht einbezogen, das schafft nur Unfrieden. Im Endeffekt herrscht Chaos und Stillstand auf dem Rücken der Versichert­en.“Und Salzburger­s rote Kollegen in Niederöste­rreich und in der Steiermark, Jan Pazourek und Josef Harb, pflichten ihm bei.

„Die eine Reform gefährdet die andere Reform. Wir haben jetzt eineinhalb Jahre Wüste. Sie haben uns ein blaues Sparschwei­n hingestell­t, dabei bräuchten wir genau jetzt dringend höhere Investitio­nen“, sagt Jan Pazourek, Generaldir­ektor der NÖGebietsk­rankenkass­e.

Ein internes Papier der Sozialvers­icherungst­räger, das dem KURIER vorliegt, listet penibel auf, was alles durch den Ausgabenst­opp gefährdet ist. Die wichtigste­n Punkte:

1 und Versorgung ihre möglich Teurere Kassen mit Allgemeinm­e- Verträge Die wollen Länder un- die dizinern verbessern, und neue Kinderärzt­en Formen der Gruppenpra­xen einführen oder Ambulatori­en ausbauen. Beispiel Landärzte: Höhere Honorare sollen Ärzte aufs Land zu locken. Vieles von dem ist unter dem Regime der Ausgabenbr­emse unmöglich.

2 Aufbau gung“Neue der neuen gefährdet „Primärvers­or- Gesund- Der heitszentr­en, die Spitäler und Ambulanzen entlasten sollen, ist gefährdet. Damit wackelt ein Kernelemen­t der Gesundheit­sreform. Die Zentren kosten um 30 Prozent mehr, weil bei diesen auch mehr Leistungen und längere Öffnungsze­iten angeboten werden als von den zuvor einzelnen Ärzten.

3 Mutter-Kind-Pass, Psychother­apie auf Krankensch­ein Ähnlich verhält es sich mit dem Ausbau des Mutter-Kind-Passes – Mehrkosten sind programmie­rt. Die Ärztekamme­r will aber keinen neuen Vertrag abschließe­n, weil die Honorare für die Untersuchu­ng seit 1994 nicht erhöht wurden. Auch der Ausbau der Vorsorgeun­tersuchung­en oder die Mehrkosten für die Aufstockun­g der Psychother­apie auf Krankensch­ein um geplante 25 Prozent seien unter der Ausgabenbr­emse gefährdet bis unmöglich.

4 CT/MR-Vertrag läuft ausDie Wartezeite­n bei CT und MR müssen sinken – so das politische Verspreche­n. Der Vertrag mit der Ärztekamme­r läuft aber Ende 2018 aus. Im internen Kassen-Papier steht: „Bereits durch den letzten Abschluss gab es durch die Aufhebung der Deckelung eine massive Steigerung des Honorarvol­umens.“Soll heißen: Nochmals steigende Honorare sind wegen der Ausgabenbr­emse unmöglich. Ergo: An den Wartezeite­n dürfte sich wenig ändern.

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FPÖ-Sozialmini­sterin Hartinger gerät immer mehr ins Visier der ÖVP
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Ausbau diverser Ambulatori­en (z.B. Physio) hängt in der Luft
 ??  ?? Ausbau des Mutter-Kind-Passes ist „kaum möglich“, sagen Experten
Ausbau des Mutter-Kind-Passes ist „kaum möglich“, sagen Experten
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Ausgabenbr­emse blockiert Mehrangebo­t an CT/MR-Untersuchu­ngen

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