Kurier (Samstag)

Leben in der Illegalitä­t: „Ständige Angst, erwischt zu werden“

Lokalaugen­schein.

- VON RAFFAELA LINDORFER

Seit sieben Jahren lebt Frau I. in Wien, aber ein gutes Leben sei es nicht, sagt sie.

Die 42-Jährige hat kein eigenes Geld, wohnt bei einer Freundin und aus dem Haus geht sie nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Heute war es notwendig – ihr Asthma-Spray ist ihr ausgegange­n. Hier im Ambermed im Süden Wiens sitzen viele, die so leben wie Frau I.: Krank und in ständiger Angst.

Frau I. kommt aus Bulgarien. Als EU-Bürgerin dürfte sie sich nur drei Monate in Österreich aufhalten, darüber hinaus bräuchte sie einen festen Job und einen Meldezette­l – beides hat sie nicht, genauso wenig wie eine Krankenver­sicherung.

„Diese Menschen würden gerne arbeiten, wenn überhaupt, werden sie aber oft nur schwarz beschäftig­t“, erklärt Ambermed-Leiterin Carina Spak. Bei dem Projekt von Diakonie und Rotem Kreuz, werden Menschen behandelt, die nicht versichert sind – nach Namen, Ausweis oder Aufenthalt­stitel wird nicht lange gefragt. „Wir helfen einfach“, sagt Spak. 3500 Menschen wurden ehrenamtli­ch von Ärzten behandelt, darunter auch Österreich­er.

2700 Illegale aufgegriff­en

Menschen wie Frau I. fühlen sich hier sicher. Beim Stichwort „Polizei“schüttelt sie den Kopf, klopft auf denHolzses­sel im Wartezimme­r – murmelt etwas auf Bulgarisch. Öffentlich­e Plätze sind für sie tabu: die Wiener Polizei hat bei Schwerpunk­tkontrolle­n heuer schon 2700 Illegale aufgegriff­en.

Das Thema hat Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Niessl jüngst angeheizt. Bis zu 250.000 Menschen hielten sich illegal hier auf, sagte er und bezog sich auf „Quellen aus dem Sicherheit­sapparat“. Dass die Zahl viel zu hoch gegriffen ist, bestätigte­n Innenminis­terium und NGOs, die mit „Illegalen“zu tun haben. Maximal 100.000 dürften es sein – immer noch viele, aber lange keine Viertelmil­lion.

Eine Gruppe sind Asylwerber mit einem negativen Asylbesche­id, die untertauch­en. Wo sie leben, was sie tun, weiß niemand so genau – zu heikel ist die Angelegenh­eit, zu groß die Gefahr, erwischt und abgeschobe­n zu werden.

Eine größere Gruppe dürften Menschen wie Frau I. ausmachen, sie kommen aus EU-Ländern wie Bulgarien und Rumänien.

„Anonymität wichtig“

Illegaler Aufenthalt ist eine Verwaltung­sstrafe, im Wiederholu­ngsfall oder bei Schwarzarb­eit kann ein Aufenthalt­sverbot verhängt werden. Wer dagegen verstößt, dem droht Schubhaft.

Um dem zu entgehen, reist Frau I. regelmäßig aus: drei Monate ist sie in Wien, fährt heim nach Bulgarien, und ist dann wieder drei Monate in Wien. So bleibt ihr Auf- enthalt „legal“, aber es ist eine Grauzone. Unddie Polizei kann kaum nachprüfen, ob jemand über die erlaubten drei Monate hinaus durchgehen­d im Land war. Warum sie sich das antut? Alles sei besser, als in Bulgarien zu leben, sagt Frau I. nur.

NGOs beobachten zuletzt, dass immer mehr Chinesen im Land sind – allerdings jeweils nur für wenige Monate. Sie verwenden meist gefälschte Ausweise, die in der Community weitergege­ben werden.

Die „Illegalen“sind unter Landsleute­n meist gut vernetzt, schlagen sich lange selber ohne Geld aus der öffentlich­en Hand durch. Wenn aber einer krank wird, braucht es Hilfe von außen. „Deshalb ist für uns Anonymität das allerwicht­igste. Wenn sich diese Menschen nicht sicher fühlen bei uns, kommen sie nicht, um sich versorgen zu lassen“, erklärt Ambermed-Leiterin Spak. Nicht zuletzt durch die Regierung sei eine härtere Gangart bei der Polizei spürbar. „Es herrscht die ständige Gefahr, erwischt zu werden.“

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3500 Menschen ließen sich im Vorjahr bei Ambermed betreuen – darunter viele Kinder und Schwangere

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