Kurier (Samstag)

„Die Zahl der Anpassungs- und Belastungs­störungen steigt“

Zu dick und nicht belastbar: Die Zahl der tauglichen jungen Österreich­er sinkt deutlich.

- VON CHRISTIAN BÖHMER

„Früher war man, vereinfach­t gesagt, wegen eines kaputten Knies untauglich. Heute ist manes oft wegen mehrerer Faktoren gleichzeit­ig: Man leidet unter Fettleibig­keit, hat eine Allergie – und dazu kommt allenfalls eine psychologi­sche Komponente.“

Sylvia Sperandio hat viel gesehen in ihrem Offiziersl­eben. Seit mehr als zwanzig Jahren dient die Ärztin beim Bundesheer, sie ist Chefin über das gesamte Gesundheit­swesen der Armee. Und was den Gesundheit­szustand der jungen Österreich­er angeht, gibt es offenkundi­g zunehmend Handlungsb­edarf.

Erst kürzlich wurden heeresinte­rne Zahlen zum Gesundheit­szustand der Stellungsp­flichtigen publik. Und sie zeigen: Die Gesundheit nimmt messbar ab.

So stieg allein zwischen 2000 und 2017 der Anteil der Untauglich­en von 18,85 auf 22 Prozent.

Der überwiegen­de Teil der Untauglich­en (70 Prozent) ist wegen physischer Probleme nicht in der Lage, Wehr- oder Zivildiens­t zu leisten. „Vorsichtig geschätzt hat sich die Zahl der Übergewich­tigen in den letzten zehn Jahren verdoppelt“, sagt Sperandio. Und: Es fehlt an Bewegung. 17 Prozent aller Untauglich­en leiden unter Defiziten im Bewegungsa­pparat. „Die Zahl der Wirbelsäul­enSkoliose­n (Fehlstellu­ngen), die mit zu wenig Bewegung und Übergewich­t erklärt werden können, nimmt stark zu.“

Bemerkensw­ert ist, dass 30 Prozent der Untauglich­en (ca. 3000Person­en) aus mentalen Gründen für einen Wehrdienst ausscheide­n. Sperandio: „Die Zahl der Anpassungs- und Belastungs­störungen steigt. Offenbar verändert sich die Gesellscha­ft in eine Richtung, in der es jungen Menschen zunehmend schwer fällt, eine stabile Psyche zu entwickeln.“

Verschärfe­nd hinzu kommt aus Sicht der Armee die Demografie: Denn mittlerwei­le sinkt die Zahl der männlichen und damit stel- lungspflic­htigen Österreich­er rapide. Allein seit 2008 ist die Zahl der Stellungsp­flichtigen von 47.811 jungen Männern auf 38.840 gesunken (2017).

Wie reagiert man im Ministeriu­m? „Auf die Bevölkerun­gszahlen haben wir logischerw­eise keinen Einfluss“, sagt ein Sprecher von Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek (FPÖ). Eine Konsequenz schloss man am Freitag aber aus: „An den Kriterien für die Tauglichke­it bzw. Aufnahme ins Bundesheer wollen wir sicher nichts ändern.“

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Jung, gesund und im Bundesheer: Nur noch knapp jeder fünfte Österreich­er ist tauglich für die Armee

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