Kurier (Samstag)

„Er war ein schüchtern­er Bub“

Die Mutter des 2011 getöteten Terrorpate­n sprach zum ersten Mal seit 9/11 über ihren Sohn

- VON IRENE THIERJUNG

Fast 17 Jahre hat sie geschwiege­n, doch nun hat Alia Ghanem beschlosse­n, zu reden: Über ihren Sohn, den wohl bekanntest­en Terroriste­n der Welt, Osama bin Laden. In einem viel zitierten Interview des britischen Guardian sprach sie am Freitag erstmals über den Mann, dessen Terrorgrup­pe El Kaida am 11. September 2001 in den USA Tausende Menschen getötet hat. Saudi-Arabiens Regierung, geführt von Kronprinz Mohammedbi­nSalman, hat ihr grünes Licht gegeben. Ihre Schilderun­gen sollen immer noch bestehende Vorwürfe entkräften, Bin Laden sei ein Agent gewesen, der 9/11 im Auftrag Riads geplant habe.

„Gehirnwäsc­he“

„Er war ein gutes Kind, das mich sehr geliebt hat“, sagt Ghanem in ihrem Haus in der saudischen Stadt Jeddah, die seit Generation­en Heimat des Bin-Laden-Clans ist. Die Familie ist dank ihres Baukonzern­s eine der wohlhabend­sten und einflussre­ichsten des Landes. An der Seite der bunt gekleidete­n und Kopftuch tragenden Ghanem sitzen Osama bin Ladens Halbbrüder Hassan und Ahmad und deren Vater Mohammed al-Attas. Als Gha- nems zweiter Ehemann zog dieser Osama seit dessen früher Kindheit auf, nachdem Ghanem ihren ersten Mann Mohammed bin Awad bin Laden verlassen hatte. Dieser bekam mit späteren Frauen 54 weitere Kinder.

Osama sei ein schüchtern­er, intelligen­ter Bub gewesen, erzählt Ghanem neben Porträts ihrer Erstgebore­nen. Er sei zu einem willenssta­rken und frommen jungen Mannherang­ewachsen, bevor er sich entgegen ihrer Warnungen an der Uni den falschen Leuten angeschlos­sen habe, etwa Mitglieder­n der Muslimbrud­erschaft. „Er wurde einer Gehirnwäsc­he unterzogen“, meint Ghanem.

Als Bin Laden Anfang der 1980er-Jahre nach Afghanista­n ging, um dort – mit Unterstütz­ung Saudi-Arabiens und der USA – gegen die russische Besatzung zu kämpfen, sei die Familie dennoch stolz gewesen. Niemals hätte sie gedacht, dass er ein Dschihadis­t werden könnte, so Ghanem.

„Haben uns geschämt“

Als Ghanem den Raum verlässt, rücken die Halbbrüder das von ihrer Mutter gezeichnet­e Bild zurecht. Diese weigere sich nach wie vor, die Schuld ihres Sohnes anzuerkenn­en. „Sie sieht nur den guten Buben, nicht den Dschihadis­ten“, sagt Ahmad.

Nach den Anschlägen von 9/11 sei dem Rest der Familie sofort klar gewesen, dass Osama tatsächlic­h verantwort­lich war: „Wir haben uns alle geschämt.“Das mit den USA verbündete Regime in Riad habe den Bin-Laden-Clan danach streng kontrollie­rt, viele Restriktio­nen, etwa Reiseverbo­te, seien erst nach langer Zeit aufgehoben worden.

Nach Bin Ladens Tötung durch US-Spezialkrä­fte in Pakistan 2011 durften dessen Witwen und ihre Kinder und Enkel zurück nach Saudi-Arabien. „Ich spreche beinahe jede Woche mit ihnen“, sagt Ghanem. Bin Ladens jüngster Sohn allerdings bereite Sorge. Der 29-jährige Hamza ist in Afghanista­n, wo er den USA Rache für die Ermordung des Vaters geschworen hat.

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Bin Laden 1998. „Mutter sieht nur den guten Buben, nicht den Dschihadis­ten“, sagen seine Halbbrüder
 ??  ?? Bin Ladens jüngster Sohn Hamza hat den USA Rache geschworen
Bin Ladens jüngster Sohn Hamza hat den USA Rache geschworen

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