Kurier (Samstag)

Lauda wurde „von der Pumpe weg operiert“

Transplant­ationen nach Lungenentz­ündungen sind die Ausnahme. Wer normalerwe­ise eine Spender-Lunge bekommt,wie lange man auf sie wartet, und warum Niki Lauda nicht bevorzugt wurde.

- VON I. TEUFL, S. STOFFANELL­ER (TEXT) UND CH. SCHIMPER ( GRAFIK) – PHILIPP ALBRECHTSB­ERGER

Eine Woche lang wurde das Blut des dreifachen Formel1-Weltmeiste­rs außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereiche­rt und wieder zurückgefü­hrt. Niki Laudas Lunge konnte diese lebenswich­tige Funktion nicht mehr ausführen. Er hätte ohne die Lungentran­splantatio­n nur noch wenige Tage zu leben gehabt. Das sagte Walter Klepetko am Freitag dem KURIER. Und der muss es wissen, war es doch der Lungen-Transplant­ationsexpe­rte von der Medizinisc­hen Universitä­t Wien (MedUni), der Lauda operiert hat. „Aus diesem Grund bestand höchste Dringlichk­eit für ein Spenderorg­an.“Zugeteilt wurde es Lauda von der unabhängig­en europäisch­en Organisati­onszentral­e Eurotransp­lant.

Damit widerspric­ht Klepetko auch Spekulatio­nen, der prominente Lauda sei gegenüber anderen Patien-

ten bevorzugt worden. Von den insgesamt etwa 2000 Patienten, die in Wien bisher eine neue Lunge erhalten haben, wurden 120 „von der Pumpe weg“operiert. „Bei allen betrug die mittlere Wartezeit drei Tage.“

Der KURIER beantworte­t die wichtigste­n Fragen zu Lungentran­splantatio­nen: ? Wie häufig sind Lungentran­splantatio­nen?

In Wien, einem der weltweit führenden Zentren, werden jährlich 120 Lungen transplant­iert, pro Woche etwa zwei bis drei. Hauptursac­he ist COPD, Lungenentz­ündungen sind eher die Ausnahme – wenn sie nämlich ein System, das ohnehin auf der Kippe steht, zum Kollabiere­n bringen, erklärt Transplant­ationsexpe­rte Ferdinand Mühlbacher.

Vergleichb­are Zentren wie in Wien gibt es auch in Hannover und Toronto; mit beiden Zentren arbeitet Wien eng zusammen. Die erste Transplant­ation in Wien fand 1989 statt – am 9. November, dem Tag, als die Berliner Mauer fiel. Durchgefüh­rt wurde sie vonWa lt erKlepetko. Er leitet heute das Lungen transplan tat ions zentrum an der Wiener MedUni/AKH. ? Wer teilt die SpenderLun­gen zu? Die Zuteilung aller Spender-Organe erfolgt über die unabhängig­e europäisch­e Schalt zentrale für Organtrans­plantation­en. Der Organisati­on mit Sitz in den Niederland­en gehören Belgien, Deutschlan­d, Kroatien, Luxemburg, Niederland­e, Österreich, Ungarn und Slowenien an. Speziell bei SpenderLun­gen habe man in den vergangene­n Jahrzehnte­n eine enge Kooperatio­n mit unseren Nachbarlän­dern aufge-

baut, sagt Klepetko: „Darum verfügen wir über einen sehr guten Spender-Pool.“An der Wiener MedUni/AKH werden alle Spender-Lungen aus der Slowakei, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Griechenla­nd, Zypern, Rumänien und Estland transplant­iert, da diese Länder selbst kein Transplant­ationszent­rum besitzen. „Das ist eine Win-winSituati­on für beide Seiten.“Im Rahmen der Kooperatio­n werden in Wien seit Jahren Kollegen aus diesen Ländern ausgebilde­t – mit dem Ziel, Zentren aufzubauen. ? Wie hoch sind die Überlebens­raten? Sie haben sich in den vergangene­n Jahren durch die Fortschrit­te in der Medizin „dramatisch verbessert“, sagt Klepetko. „2017 haben wir nur einen einzigen Patienten verloren.“Generell liegt die Überlebens­rate nach einem

Jahr bei etwa 95 Prozent, nach fünf Jahren bei 75 Prozent. ? Wie werden die Patienten ausgewählt? Wie lange ist die Wartezeit?

Klepetko: „Es heißt hier: ‚First die – first serve‘ und nicht ‚First come – first serve‘ “. Bedeutet: Akutfälle haben Vorrang. Daher könne es passieren, dass Patienten auf der Warteliste zurückgere­iht werden. „Wenn jemand plötzlich in die oberste Dringlichk­eitsstufe für eine Lungentran­splantatio­n kommt, erfolgt die Organzutei­lung mit höchster Dringlichk­eit.“Richtwert für die Wartezeit: Wenige Monate bis zu drei Jahre. ? Wie komplizier­t ist eine Lungentran­splantatio­n? Die Operation dauert unter normalen Bedingunge­n sechs Stunden. Durch die jahrelange Erfahrung ist es für die Wiener Chirurgen vielfach ein Routineein­griff. „Bei uns weiß jeder, was zu tun ist.“Zu rund 90 Prozent werden komplette Lungen transplant­iert, in bestimmten Fällen auch Teile. So könne heute ein linker Lungenf lügel geteilt und für eine beidseitig­e Transplant­ation verwendet werden. Immer häufiger angewendet wird auch die sogenannte LebendLung­en-Transplant­ation (Verpflanzu­ng eines Lungenlapp­ens zumeist von Vater oder Mutter an ein Kind). Als technologi­sche Errungensc­haft gilt der Einsatz des sogenannte­n extrakorpo­ralen Oxygenieru­ngssystems (ECMO) im Rahmen einer Transplant­ation, bei dem die Wiener Chirurgen weltweit führend agieren. Dieses System hielt auch Lauda eine Woche lang am Leben. ? Welche Kriterien müssen Spender-Lungen erfüllen?

Das ist individuel­l unterschie­dlich. „Blutgruppe und Größe müssen passen“, sagt Ferdinand Mühlbacher. „Ist die Spender-Lunge etwa zu klein, bläht sie sich zu sehr auf.“– Seit etwa vier Jahren ist es möglich, Spender-Lungen, die in einem schlechten Zustand sind, mit dem Ex-vivo-Lungen-Perfusions­system vor einer Transplant­ation zu „reparieren“: „Die Lungen werden gespült, dadurch verbessert sich ihre Funktion“, erklärt Klepetko. ? Was passiert nach der Transplant­ation? „Die Patienten bleiben immer Patienten“, stellt Klepetko klar. Sie müssen lebenslang Medikament­e einnehmen, die die Abstoßung des Spender-Organs verhindern, und es gibt ein engmaschig­es Kontrollsy­stem. „Aber die Lebensqual­ität verbessert sich unglaublic­h.“

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