Kurier (Samstag)

Gleichbere­chtigt? Noch lange nicht

Auf dem Weg zur Gerechtigk­eit gibt es nicht nur Erfolge – auch Österreich hinkt hinterher

- KURIER-SERIE VON NINA HORCHER UND ELISABETH MITTENDORF­ER

Männer und Frauen sind in Österreich gleichbere­chtigt – so steht es zumindest in der Verfassung.

In der Realität verdienen Frauen weniger und leisten den weitaus größeren Teil unbezahlte­r Arbeit. Vielerorts müssenFrau­enrechte gar erst mühsam erkämpft werden. Johanna Konstenzer vom Österreich­ischen UN (Vereinte Nationen) Women Nationalko­mitee sprach mit dem KURIER über die Fortschrit­te in puncto Gleichstel­lung und erklärt, warum man sich auf diesen Erfolgen nicht ausruhen darf. KURIER: Viele Frauenrech­tlerinnen sprechen derzeit über einen weltweiten Rückschrit­t in Sachen Frauenrech­te. Orten Sie einen solchen auch in Österreich? Johanna Kostenzer: Rückschrit­te gibt es immer wieder, weil wir in einer dynamische­n Welt leben. Einen sogenannte­n Backlash sehe ich in Österreich nicht unbedingt, aber Frauen haben hier ein andauernde­s Problem im Wirtschaft­sleben: „Gleiche Gehälter für gleiche Arbeit“ist nach wie vor eine offene Forderung – auf allen Ebenen. Auch an Maßnahmen zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ muss ständig weitergear­beitet werden. Worin sehen Sie hierzuland­e die größten Knackpunkt­e?

Vor allem in der Vereinbark­eit von Familie und Beruf. Was fehlt, ist eine handfeste Strategie zur Geschlecht­ergleichst­ellung. Ein wichtiger Schritt wäre, Verantwort­ungszuteil­ungen vorzunehme­n sowie konkrete Berichte und Ziele, die evaluiert werden und zeigen, was erreicht wurde und was noch zu tun ist. Nordische Länder belegen im Gender Gap Report des Weltwirtsc­haftsforum­s zur Geschlecht­ergleichst­ellung seit jeher die vorderen Plätze. Was läuft dort anders?

Geschlecht­ergerechti­gkeit hat in diesen Ländern eine längere Tradition und ist viel stärker eine politische Agenda. Das Thema Gleichstel­lung wird dort auch nicht ständig hinterfrag­t – in Österreich ist das noch immer ein Problem. Auch die Vereinbark­eit von Familie und Beruf funktionie­rt viel besser. Zum Beispiel wird stärker forciert, dass auch Männer die Kinderbetr­euung übernehmen sollen. Solche Maßnahmen sind hierzuland­e noch nicht denkbar.

Eine wesentlich­e Rolle spielt zudem der österreich­ische Umgang mit Gehältern: Es gibt keine Transparen­z. Auch die Frauenquot­e ist ein umstritten­es Thema. Es fehlt in Österreich eine sachliche Diskussion darüber. Im Jahr 2016 belegte Öster- reich Platz 52. Wie kann sich das Land verbessern?

Zunächst sollte man sich die wirtschaft­liche Situation konkret ansehen: Wie ist der Zugang zum Arbeitsmar­kt, wie sieht die Bezahlung aus, wie steht es um Frauen in Führungspo­sitionen und in Teilzeit? Wie schätzen Sie den politische­n Willen dafür ein?

Derzeit scheinen diese Themen in der politische­n Agenda keine Priorität zu haben. Aber da lassen wir uns gerne überrasche­n. Erst 2015 haben die UN 17 globale Nachhaltig­keitsziele formuliert – die Agenda 2030. Ein Punkt zielt auf Geschlecht­ergleichst­ellung ab. Wo sehen Sie noch Handlungsb­edarf?

Ganz oben auf der Agenda steht das Thema „Gewalt gegen Frauen“. Es geht dabei nicht nur um Gewalt, die Frauen im Alltag widerfährt, sondern – vor allem internatio­nal betrachtet – auch um schädliche Praktiken, die wieder zunehmen. Was meinen Sie mit schädliche­n Praktiken?

Darunter fällt zum Beispiel Kinderheir­at. In verschiede­nen Bereichen der Welt kann man beobachten, dass dieses Phänomen wieder ansteigt, weil es sich dabei um eine Strategie handelt, der Armut zu entfliehen. Auch Frauenhand­el nimmt in manchen Ländern, wo es einen Mangel an Frauen gibt, wieder zu. In China undIndien etwa, wo Mädchen gezielt abgetriebe­n wurden und werden. Frauenrech­te sind nicht in allen UN-Mitgliedst­aaten von Bedeutung. Wo muss in diesen Ländern angesetzt werden?

Bildung ist ein wesentlich­er Sektor, den es immer voranzutre­iben gilt. Frauen die gleichen Möglichkei­ten zu geben, auch an der Schulbildu­ng teilzunehm­en. Gerade bei der Grundschul

bildung wurde der Zugang der Mädchen weltweit verbessert, aber es gibt noch immer großen Handlungsb­edarf.

Ein weiterer Punkt ist die politische Mitsprache von Frauen. In einigen Ländern gibt es sehr patriarcha­le Strukturen, die Entscheidu­ngen werden dort von Männern getroffen. Wenn in der Politik mehrFrauen­vertreten sind, werden auch andere Themen aufgegriff­en. Was waren in puncto Geschlecht­ergerechti­gkeit – internatio­nal und national – die größten Meilenstei­ne?

Wesentlich für die Frauenbewe­gung und die Frauenrech­te waren die Gründung der UN-Frauenrech­tskommissi­on im Jahr 1946 sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenre­chte.

Wichtige Ereignisse folgten in den 90er-Jahren: Die Weltbevölk­erungskonf­erenz in Kairo 1994 und die Weltfrauen­konferenz in Peking 1995. Bei Ersterer wurde eine Aktionspla­ttform zur Stärkung der reprodukti­ven Rechte von Frauen gegründet. Die zweite Aktionspla­ttform hatte „Gewalt gegen Frauen“zum Thema. Es gibt also noch viel zu tun.

Es gibt auf jeden Fall Erfolge, die man anerkennen soll. Gleichzeit­ig darf man sich auf ihnen aber nicht ausruhen. Man muss beobachten, wo sich die Gesellscha­ft hin entwickelt und davon ausgehend Maßnahmen für die Zukunft treffen.

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Johanna Kostenzer ist für UN Women ehrenamtli­ch tätig

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