Kurier (Samstag)

Das Schöne ist nur der Anfang von etwas Schrecklic­hem

Adolf Muschg. Im Zentrum der Gefahr: Reise nach Fukushima; und Adalbert Stifter fährt mit.

- VON PETER PISA

Auf demTisch liegt neben den rohen Fischhäppc­hen ein Geigerzähl­er. Das Restaurant ist etwa 30 Kilometer von Fukushima, vom „Ground Zero“, entfernt.

Der Thunfisch ist in Ordnung – sofern man sich an die 2,3 Millisieve­rt Strahlendo­sis, die als „in Ordnung“gilt, halten will. Der Hummer hat 2,8. Auf der Autofahrt durch schönste japanische Adalbert-Stifter-Landschaft kommen immer mehr Plastiksäc­ke ins Bild. Verseuchte Erde wird abgegraben. Aus Pfirsichpl­antagen wurden schwarze Sackplanta­gen.

Vergiftet

Auch das ist gemeint, wenn Adolf Muschg – im Mai wurde der Schweizer 84 – schreibt, das Schöne sei nur der Anfang des Schrecklic­hen.

Er wollte seinen neuen Roman ursprüngli­ch „Stifter in Fukushima“nennen.

Aber – damit hielt er sich zurück – denn wer kennt noch Adalbert Stifter? Wer will an dessen Naturbesch­reibungen, an dramatisch­en Ursache-und-Wirkung-Erzählunge­n, wer will an Stifters Langsamkei­t teilhaben?

Deshalb „Heimkehr nach Fukushima“: Ein Architekt wird ins Dorf Yoneuchi eingeladen, um sich Gedanken zu machen, wie man die vertrieben­en Bewohner sowie Künstler (zurück-)holen kann, trotz Strahlung.

Er schaut sich an, wie der Mensch in die Intimsphär­e der Natur eingedrung­en ist. Er lernt (= man lernt) die japanische Philosophi­e kennen: Wir sind sowieso alle vergiftet inkl. unserer Seele, es gibt keinen sicheren Ort auf der Welt – bei Fukushima sieht man die Gefahr wenigstens am Geigerzähl­er und kann ihr ins Auge blicken ...

Ausgewasch­en

Manchmal ist Muschg, Büchner-Preisträge­r von 1998 , unklar, schwer zu verstehen, nur für Leser mit viel Zeit. Diesmal nicht.

Freundlich­erweise hat der Atomkraft-Kritiker eine Liebesgesc­hichte zwischen dem62-Jährigen Architekte­n und einer 37-jährigen Japanerin eingebaut, auch Werke von Stifter (wie „Abdias“) erzählt er zwischendu­rch nach, und langsam wird alles zur japanische­n Stifter-Geschichte.

Und es gibt Sex beim Muschg. („Er wollte den Mund öffnen, da fuhr ihre Zunge hinein und begann ihn auszuwasch­en ... Sie waren ein Fleisch.“)

Adalbert Stifter hat uns Ähnliches erspart.

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War in Fukushima: Adolf Muschg ist mit einer Japanerin verheirate­t
 ??  ?? Adolf Muschg: „Heimkehr nach Fukushima“Verlag C.H.Beck. 244 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:
Adolf Muschg: „Heimkehr nach Fukushima“Verlag C.H.Beck. 244 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:
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