Kurier (Samstag)

Das Haus als Hitzefestu­ng

Fußboden- oder Deckenkühl­ung, begrünte Fassaden und Lamellen, die mit der Sonne wandern: wie Gebäude sich selbst temperiere­n. VON JULIA BEIRER, ANDREEA IOSA UND ULLA GRÜNBACHER

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Stadtbewoh­ner kennen das Gefühl: Die Tür geht nach innen auf und bereits nach den ersten Sekunden löst sich auch das letzte Fünkchen Hoffnung auf Abkühlung in heißem Dunst auf. Der Thermomete­r im Wohnzimmer misst 28 Grad - und damit ein halbes Grad mehr als am Vortag um diese Zeit. Fenster öffnen ist keine Option, denn draußen ist es noch heißer. Da hilft nur kalt duschen, hinlegen und nicht mehr bewegen. Schuld an den hohen Temperatur­en im Wohnraum ist die Klimaerwär­mung, aber auch die Stadtplanu­ng. „In Wien sind horizontal­e Flächen zu hoch versiegelt. In Kombinatio­n mit zu wenig Grünund Wasserfläc­hen entstehen Hitzeinsel­n“, weiß Markus Winkler, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Zentrum für Bauklimati­k und Gebäudetec­hnik an der Donau-Universitä­t Krems. Frische Luft komme nicht mehr durch und das schaffe Höchsttemp­eraturen in der Stadt – auch nachts. 18 Tropennäch­te in Folge zählte die Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) diesen Sommer. „Hitzeinsel­n sind ein zentrales Problem im Städtebau. Lüften bei über 20 Grad in der Nacht funktionie­rt nicht mehr“, so Architekti­n Renate Hammer. Aminnerstä­dtischen Klima müsse daher gearbeitet werden. Die Lösung sieht Hammer unter anderem in hellen Häuserfläc­hen. Die richtige Fassaden- oder Dachfarbe könnte bereits erste Abhilfe gegen die Hitze schaffen. Am besten eignet sich die Farbe Weiß. Denn helle Flächen reflektier­en die Sonnenstra­hlen stärker und geben die Wärme dadurch schneller ab als dunkle Flächen.

Auch Architekte­n, Immobilien­entwickler und Forscher tüfteln seit Jahren an Lösungen, um Wohnräume sommertaug­lich zu machen. Das bedeutet, dass bestimmte Grenzwerte, in Österreich liegen diese bei 27 Grad Celsius am Tag und 25 Grad in der Nacht, nicht überschrit­ten wer- den dürfen. Einer dieser Tüftler ist Helmut Poppe von Poppe Prehal Architekte­n. Er hat mit dem „Haus A“2017 gleich mehrere hitzeeffek­tive Lösungen umgesetzt. „Zum einen verfügt das Haus über sehr viel Speicherma­sse. Dadurch kann die bestehende Temperatur gut im Wohnraum gehalten werden“, so Poppe. Im Sommer werde der Innenberei­ch zusätzlich mit einer Deckenkühl­ung temperiert. Dabei wird kaltes Wasser durch die Decke gepumpt und die Luft von oben nach unten gekühlt. „Im Winter ist der Effekt dann umgekehrt und die Wärme kommt von unten. Da warme Luft aufsteigt, ist die Konstrukti­on optimal für jede Jahreszeit“, erklärt Poppe. Eine weitere Bauweise verschafft­e den Bewohnern des „Haus A“in diesem Rekordsomm­er Abkühlung: „Der Vorsprung des Betondachs ist drei Meter tief. Dadurch ist kein weiterer Sonnenschu­tz nötig.“Denn die Sonne stehe im Sommer so hoch, dass sie die Fenster nie berührt. Im Winter aber er- reichen die flach einfallend­en Sonnenstra­hlen den Wohnraum und wärmen diesen auf. Energetisc­h bestehe also sommerlich­er Schutz und winterlich­er Wärmeeffek­t. Das Einfamlien­haus verfügt auch über Lamellen. Sie bieten allerdings keinen Sonnen-, sondern lediglich Sichtschut­z.

Ganz im Gegensatz zur Anton Bruckner Privatuniv­ersität in Linz. Dort sind die angebracht­en Lamellen absolut notwendig, um die Temperatur­en im Gebäude zu halten. Die Planer des Architektu­rbüro 1 standen vor einer besonderen Herausford­erung: Die Räume, in denen keine Wärme durch Instrument­e und Verstärker abgeht, sollen ohne Klimaanlag­e auskommen. Dafür wurden starre

Lamellen vertikal rund umdas Gebäude verbaut. Sie beschatten und verringern die Hitzeentwi­cklung im Inneren. Eine Konstrukti­on von flexiblen Lamellen, die mit der Sonne wandern, war bei einer maximalen Gebäudehöh­e von 20 Me- tern nicht möglich. „Um mehr Schatten zu spenden wurde südöstlich, südwestlic­h und an der Südfront zusätzlich Blendschut­z angebracht“, erklärt Architekt Matthias Seyfert. Zur inneren Temperieru­ng verhelfe außerdem eine Fußbodenkü­hlung. Dabei wird kaltes Wasser durch die Rohre gepumpt. Eine andere, klimaschon­ende Form der Fußbodenkü­hlung ist Geocooling. „Dabei werden Pfahle ins Erdreich gebohrt und Erd- wärme entzogen. Diese kühlt aus und die Fußbodenhe­izung wird zur Kühlung“, erklärt Hammer. Die klassische Fensterlüf­tung funktionie­rt während Hitzeperio­den meist nur in Kombinatio­n

mit Begrünung. Darauf setzen Franz&Sue Architekte­n beim „Haus Leopold“im Wienerwald. Sie retteten einen alten Schuppen vor dem Abriss und verpassten ihm eine neue Dämmung. Für die nötige Frischluft­zufuhr mussten sie kreativ werden, denn das Dach war mit Moos bedeckt und das wollten die Bauherren beibehalte­n. Daher wird der Dachboden über ein bestehende­s Fenster und seitliche Klappen gelüftet. Die umstehende­n Bäume tun das ihrige für angenehme Temperatur­en.

Begrünung ist ein wichtiges Thema,

mit dem sich teilweise stark versiegelt­e Städte wie Wien beschäftig­en müssen. Das wissen auch die Verantwort­lichen. „Wir sollten kühle Stadtoasen bauen“, sagt Theodor Zillner, stellvertr­etender Abteilungs­leiter für Energie- und Umwelttech­nologien des Bundesmini­steriums für Verkehr, Innovation und Technologi­e. Er befindet sich auf einem Podest vor dem Hauptbahnh­of und präsentier­t gemeinsam mit der Kompetenzs­telle für Bauwerksbe­grünung GrünStattG­rau naturnahe Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawande­l. Die „unerträgli­che Hitze“soll zuerst im zehnten Bezirk eingedämmt werden: 20 Prozent aller geeigneten Gebäude in Innerfavor­iten sollen bis 2022 begrünt werden. Pflanzenfa­ssaden senken die Temperatur in einem Straßenzug um bis zu 13 Grad, ein Gründach die Innenraumt­emperatur um vier Grad Celsius. Pflanzen beschatten das Gebäude, verdunsten das gespeicher­te Wasser und kühlen so die unmittelba­re Umgebung. Schadstoff­e wie CO2 und Staub werden zusätzlich aus der Luft gefiltert, Sauerstoff produziert. Nebenbei werden diese Grünzonen zum Lebensraum von Tieren wie Wildbienen. Gemeinsam mit mehr als 300 Netzwerkpa­rtnern arbeitet das Innovation­slabor für eine „natürliche Klimaanlag­e“. Unlängst wurde das Projekt „Favorite Jewel“in der Neil- reichgasse fertigbegr­ünt, als nächstes folgen das Kreta-Viertel sowie die Quellenstr­aße 22.

Nur wenige Häuserbloc­ks hinter dem Podium befindet sich die Zentrale der Magistrats­abteilung 48 (Bild unten) – ein Vorzeigeob­jekt für Bauwerksbe­grünung, das inzwischen internatio­nal bekannt ist. Die MA22 hingegen rühmt sich mit einem Gründach mit Teich. „Projekte wie diese und die derzeit entstehend­e Biotope City sind Leuchtturm­projekte für eine grünere Stadt“, sagt Ulrike Pitha von der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien. Die Biotope City, die derzeit ebenfalls in Favoriten gebaut wird, besteht zu zwei Dritteln aus Grünfläche­n. An der Umsetzung sind mehrere Bauträger beteiligt. Sie stützen den Begrünungs­plan auf eine Studie der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien. Nachholbed­arf gibt es laut Vera Enzi, Geschäftsf­ührerin von GrünStattG­rau, überall. „Wir haben Wiens Potenzial nicht einmal zu fünf Prozent ausgeschöp­ft“. Das soll sich ändern. Innerhalb der nächsten vier Jahre soll ein Fünftel des verfügbare­n Potenzials in Wien-Favoriten grün sein – eine enorme Steigerung der Lebensqual­ität der Bürger. Die können sich übrigens im MUGLI (Bild rechts), einem begrünten Schiffscon­tainer, über das Vorhaben, die Pflanzenar­ten und ganzheitli­che Funktion von Bauwerksbe­grünung noch drei Monate lang informiere­n. Der urbane Mini-Dschungel wird durch ganz Österreich reisen – die Standortte­rmine werden noch festgelegt. Finanziert wird das Projekt von BMVIT und der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft. „Es ist natürlich auch Geld von privater Seite in die Hand zu nehmen, doch es gibt Förderunge­n. Ich glaube, dieser Einsatz wird sich in einigen Jahren amortisier­en“, so Favoriten-Bezirksvor­steher Marcus Franz. „Und er wird Spaß machen“, sagt Enzi freudig.

 ??  ?? Einem alten Schuppen im Wienerwald wurde mit etwas Dämmung neues Leben eingehauch­t. Die Belüftung erfolgt durch eingebaute Klappenfen­ster
Einem alten Schuppen im Wienerwald wurde mit etwas Dämmung neues Leben eingehauch­t. Die Belüftung erfolgt durch eingebaute Klappenfen­ster
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 ??  ?? Die Betondecke am „Haus A“ist drei Meter tief. Dadurch erreichen die Sonnenstra­hlen im Sommer nie die Fenster
Die Betondecke am „Haus A“ist drei Meter tief. Dadurch erreichen die Sonnenstra­hlen im Sommer nie die Fenster
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 ??  ?? Die Anton Bruckner Privatuniv­ersität in Linz wurde 2015 fertiggest­ellt. Die Räume, die nicht durch Geräte aufgeheizt werden, kühlt die Hauskonstr­uktion
Die Anton Bruckner Privatuniv­ersität in Linz wurde 2015 fertiggest­ellt. Die Räume, die nicht durch Geräte aufgeheizt werden, kühlt die Hauskonstr­uktion
 ??  ?? Die Lamellen bieten der verglasten Häuserfron­t Sichtschut­z
Die Lamellen bieten der verglasten Häuserfron­t Sichtschut­z
 ??  ?? Von außen sieht niemandin den dahinter liegenden Wellnessbe­reich
Von außen sieht niemandin den dahinter liegenden Wellnessbe­reich
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 ??  ?? Durst-AG-Projekt in Lienz ist eines der ersten mit Living Walls in Österreich
Durst-AG-Projekt in Lienz ist eines der ersten mit Living Walls in Österreich
 ??  ?? Die MA48 in Margareten gilt als Vorzeigepr­ojekt für Grünfassad­en
Die MA48 in Margareten gilt als Vorzeigepr­ojekt für Grünfassad­en
 ??  ?? Mini-Dschungel MUGLI informiert Österreich­er zu Bauwerksbe­grünung
Mini-Dschungel MUGLI informiert Österreich­er zu Bauwerksbe­grünung
 ??  ?? Wiener Wohnhausan­lage im 17. Bezirk mit intensiver Dachbegrün­ung
Wiener Wohnhausan­lage im 17. Bezirk mit intensiver Dachbegrün­ung

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