Chemnitz: „Hetzjagd“oder nur ein Fake
Verfassungsschützer ortet „Falschinformation“
Ablenkung vom Mord? In Deutschland ist eine hitzige Debatte darüber ausgebrochen, ob es in Chemnitz nach dem Mord an einem Deutschen durch zwei Migranten zur „Hetzjagd“auf ausländisch aussehende Menschen gekommen ist. Die Empörung über solche Szenen war groß, auch bei Kanzlerin Angela Merkel. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) widersprach. Nun meldete sich auch der oberste Verfassungsschützer Hans Georg Maaßen zu Wort. Es gebe keine Informationen über solche „Hetzjagden“; er sprach vielmehr von möglicherweise „gezielten Falschinformationen“. SPD und Grüne übten ihrerseits heftige Kritik an Maaßen.
Es ist eine heikle wie herausfordernde Frage: Seit Tagen wird in Deutschland darüber diskutiert, wie ausländisch aussehende Menschen in Chemnitz attackiert wurden. Ob sie im Sinne einer „Hetzjagd“über einen längeren Zeitraum gejagt wurden oder es zu „Jagdszenen“kam. Es ist ein semantischer Streit, der zum politischen wurde – und vor allem der AfD nützt.
Während die Kanzlerin und ihr Sprecher nach ersten Berichten von solchen Hetzjagden sprachen, wies dies der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer zurück. Nun meldete sich dazu der oberste Verfassungsschützer – aber nicht bei der Bundesregierung. Hans-Georg Maaßen hegt einen Verdacht und tat ihn via Bild- Zeitung kund. Seiner Behörde lägen keine Informationen darüber vor, dass Hetzjagden stattgefunden hätten. Zu dem Video, das zeigt, wie ausländische Menschen angegriffen werden, sagt er: „Nach meiner vorsichtigen Bewertungsprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von demMordin Chemnitz abzulenken“, so Maaßen. Belege oder Begründungen für seine Annahmen blieb er bis dato schuldig. Die Bundesregierung informierte er ebenso wenig: „Es hat dazu kein Gespräch der Bundeskanzlerin mit Herrn Maaßen in den letzten Tagen gegeben“, erklärte Regierungssprecher Seibert.
„Video echt“
Wie kommt Maaßen zu diesen Annahmen? Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält das Video jedenfalls für echt. „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte“, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein Zeit online. Es werde deswegen für die Ermittlungen genutzt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insgesamt 120 Ermittlungsverfahren auf dem Tisch – wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Beleidigung. Auchdas Ermittlungsverfahren um den Tod von Daniel H. läuft. Während Maaßen in der Bild von Mord spricht, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Totschlags – ein kleiner, aber gewichtiger Unterschied betreffend des Strafausmaßes.
Von den Linken, Grünen und SPD kommt Kritik: Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wirft ihm vor, mit seinen „unpräzisen Aussagen“hinterlasse er den Eindruck, er wolle die Vorfälle in Chemnitz herunterspielen und vom Problem des Rechtsextremismus ablenken.
Der Deutsche Journalisten-Verband wehrt sich gegen Maaßens Formulierung „gezielte Falschinformation“– dies sei ein schwerwiegender Vorwurf, der Medien pauschal unter Manipulationsverdacht stelle. Zudem weist man seine Verdächtigungen zurück: „Gegen seine Zweifel stehen die Augenzeugenberichte von Journalistinnen und Journalisten, die in Chemnitz zum Teil selbst Opfer rechter Gewalt wurden“, so Geschäftsführer Kajo Döhring.
Maaßen ist dafür bekannt, dass er mit seiner politischen Meinung nicht hinterm Berg hält, etwa zu Merkels Flüchtlingspolitik. Zudem wird ihm zuwenig Distanz zur AfD bis hin zur Beratung vorgeworfen. Ebenso wie die Vorwürfe, seine Behörde habe nach dem Terroranschlag in Berlin 2016 Fehler vertuscht. Nur Horst Seehofer hält derzeit seine schützende Hand über ihn.
Wieder Demos
Freitagabend versammelten sich in Chemnitz erneut mehrere Tausend Demonstranten verschiedener Lager. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Parallel zu den Demos setzen die Kulturbetriebe der Stadt mit einem OpenAir-Konzert von Beethovens 9. Sinfonie ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit.
Die Welt berichtet unterdessen von einer antisemitischen Attacke während der Demos am 27. August. Schwarz gekleidete Vermummte hätten ein koscheres Lokal mit Steinen, Flachen und einem Stahlrohr beworfen und dabei „Hau ab aus Deutschland, du Judensau“gerufen. Der Wirt sei an der Schulter verletzt worden.