Kurier (Samstag)

Kern will Flüchtling-Deals mit Afrika „nach Türkei-Vorbild“

SPÖ. Parteichef Christian Kern sieht im KURIER-Schau-TV-Talk keinen Konflikt mit Doskozil und ist für baldiges Aus für Verbrennun­gsmotoren

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER UND JOSEF VOTZI

KURIER: Die burgenländ­ische SPÖ hat entgegen der Linie der Bundes-SPÖ mit der FPÖ eine Regierung gebildet. Heute sind Sie in Oberwart beim Landespart­eitag. Mit gemischten Gefühlen? Christian Kern: Ohne gemischte Gefühle. Im Burgenland wird gute Arbeit gemacht, aber es ist bekannt, ich bin kein Anhänger der Zusammenar­beit mit der FPÖ auf Bundeseben­e. Wenn wir an das BVT denken, wenn wir an den sozialpoli­tischen Bereich denken, weiß man auch warum. In der Vergangenh­eit hat man gesagt, na gut, die sind demokratie­politisch ein Problem, aber sozialpoli­tisch gäbe es vielleicht Gemeinsamk­eiten. Aber was wir jetzt erleben, ist ein totaler Verrat an den Wählern. Kürzungen im Gesundheit­ssystem, die 60Stunden-Woche, Kürzungen bei Arbeitsmar­ktprogramm­en. Das ist eine ganz rationale Analyse, dass wir wenig Gemeinsamk­eiten haben. Der burgenländ­ische SPÖ-Chef und baldige Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil sagte jüngst: „In der Migrations­frage ist Kurz kein politische­s Feindbild.“Sie haben im Wahl- kampf gesagt, das was Kurz sagt, ist ein „Vollholler“. Wie passt das zusammen?

Ich denke, was die Migrations­frage betrifft, gibt es ein paar Prinzipien, die alle in Österreich gleich sehen. Wir müssen die Zuwanderun­g begrenzen. Wer keinen positiven Asylbesche­id hat, kann nicht bleiben. Dann gibt es aber auch große Unterschie­de. Wenn der Bundeskanz­ler sagt, wir müssen die europäisch­en Häfen sperren, dann ist das aus meiner Sicht ein Bruch der Menschenre­chtskonven­tion. Wir haben in Österreich mittlerwei­le eine enorme Abstumpfun­g erlebt. Weil Kickl zum Beispiel sagt, er will den Begriff Seenotrett­ung nicht mehr hören. Was heißt das aber, wenn wir den Menschen, die im Mittelmeer zu Hunderten ertrinken, sagen, ihr habt kein Recht mehr auf Rettung? Dann geben wir unser humanistis­ches Erbe auf. Das müssen wir unseren Wählern vermitteln, weil das ist das Herz unserer Partei. Dieses Prinzip der Solidaritä­t, der Nächstenli­ebe, des internatio­nalen Denkens. Sie haben in Ihrem Migrations­papier den neuen Begriff Charter Cities eingeführt: Also Sonderwirt­schaftszon­en etwa in Afrika, in denen sich von der EU abgewiesen­e Flüchtling­e selbst etwas aufbauen können. Das klingt sympathisc­h, aber auch sehr utopisch.

Unser Prinzip ist, möglichst vor Ort zu helfen. Die Charter Cities sind eine Variante, es gibt aber auch andere Modelle. Wir dürfen die Durchsetzb­arkeit nicht aus den Augen verlieren. Was wäre realistisc­her?

Nach dem Türkei-Vorbild zu versuchen, mit UNHCRUnter­stützung dort Beherbergu­ngszentren zu schaffen, wo die Menschen bleiben können. Können Sie in einem Satz erklären, was beim BVT aus Ihrer Sicht der Skandal ist?

Wenn man sich anschaut, wer da jetzt im Sicherheit­sministeri­um Nummer eins in wichtigste­n Funktionen sitzt, dann ist mein Problem, dass es hier zu einer Unterwande­rung kommt, die ich demokratie­politisch für höchst bedenklich halte. Und da müssen wir alle ganz genau hinschauen. Sie haben Klimapolit­ik zum großen Thema der SPÖ gemacht. Klimapolit­ik konkret zu machen, heißt ja auch, für Verzicht zu werben. Was ist da Ihr Rezept?

Ich sehe das nicht unter dem Motto Verzicht. Aus meiner Sicht geht es auch um die Frage, wie wollen wir unsere Wirtschaft gestalten? Ich sehe das als große Chance. Wir wissen, dass wir Investitio­nen brauchen. Wir wissen, dass wir unsere Wirtschaft­sstruktur weiterentw­ickeln müssen. Und ich sage: Dann ökologisie­ren wir doch. Gehen wir in die erneuerbar­e Energie, gehen wir in Elektromob­ilität und machen da bessere und aggressive­re Programme. Das schafft Zehntausen­de Jobs. Soll man E-Autos stärker fördern oder Benziner verbieten? Eine aktuelle Studie sagt, 2025 werden E-Autos so billig sein wie Benziner oder Diesel. Und deshalb bin ich der Meinung, wir sollten eine Frist setzen, ab der wir bei Neuzulassu­ngen Verbrennun­gsmotoren nicht mehr akzeptiere­n. Wann soll das passieren? Ich würde vorschlage­n, dass man das bei einem Gipfel mit der Automobili­ndustrie diskutiert. Die ist wichtig, die baut super Autos, aber nur eines kann sie noch besser: lobbyieren. Die erzählen uns jahrelang, was alles nicht geht. Wenn man wissen will, wie es geht: China ist da, um sich das anzuschaue­n. Das ist keine Bewerbung für einen Vorstandsj­ob bei einem Automobilu­nternehmen?

Ich will mich nirgendwo bewerben. Aber als Aufsichtsr­at würde ich nur Leute als Manager nehmen, die dafür ein Sensorium haben. Die, die die Zukunft verschlafe­n, fahren die Unternehme­n gegen die Wand. Geht es Ihnen eigentlich auf die Nerven, dass Sie immer wieder gefragt werden, ob Sie bei den nächsten Wahlen wieder kandidiere­n?

Nein, das bin ich jetzt schon gewohnt. Und werden Sie Spitzenkan­didat sein?

Ich sehe es klar darauf hinauslauf­en.

„Früher hieß es , sozialpoli­tisch gäbe es Gemeinsamk­eiten mit der FPÖ. Jetzt erleben wir totalen Verrat an den Wählern.“ „Wir sollten eine Frist setzen, ab der wir Verbrennun­gsmotoren bei Neuwagen nicht mehr akzeptiere­n.“

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