Wachsender Unmut über widerspenstige EU-Mitglieder
Sanktionen.
Solche Töne unter europäischen Regierungsmitgliedern sind neu, eine Lawine gegenseitiger Drohungen rollt: „Wir sind nicht bereit, für dieses Europa zu bezahlen“, verkündete Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian diese Woche. Er wendet sich damit direkt gegen finanzielle Unterstützung für jene EU-Staaten, „die grundlegende Prinzipien der EU nicht respektieren“.
Gemeint sind in erster Linie Polen und Ungarn. Aber auch Rumäniens Regierung reihte sich zuletzt bei jenen Staaten ein, die aus Sicht Brüssels immer bedrohlicher an den Grundpfeilern der Rechtsstaatlichkeit rütteln. Und Italiens Regierung der Populisten droht gar aus Ärger über die nicht funktionierende Migrationspolitik, die Zahlungen ins gemeinsame EU-Budget einzustellen.
Macht jetzt in der EU bald jeder, was er will? Ob Italien, Polen oder Bayern, ärgert sich EU-Abgeordneter Josef Weidenholzer (SPÖ), „es ist absurd, wenn aus innenpolitischem Kalkül ständig der Grundkonsens der Europäischen Union in Frage gestellt wird.“Dieser Konsens – er beruht auf gemeinsamen Regeln, Gewaltenteilung, einer unabhängigen Justiz. „Über Generationen wurde das mit großer Mühe erkämpft, und jetzt ist es gefährdet“, warnt Weidenholzer, Mitglied der parlamentarischen Überwachungsgruppe zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit.
Gegenüber Ungarn könnte das EU-Parlament demnächst einen drastischen Schritt setzen. Stimmt das Plenum der Abgeordneten Mitte September zu, steht Ungarn die sogenannte „Atombombe“ ins Haus: Ein Rechtsstaatsverfahren (Artikel-7), an dessen Ende der Entzug der Stimmrechte für Ungarn stehen könnte. De facto eine Art Rauswurf aus der EU.
Dass es je so weit kommt, ist unwahrscheinlich: Unklar ist, ob die Zweidrittel-Mehrheit im Parlament überhaupt zustande kommt. Wenn doch, kann das Parlament die EUKommission nur eindringlich auffordern, das Verfahren einzuleiten. Am Beispiel Polens, gegen das die Kommission bereits ein Artikel-7-Verfahren am Laufen hat, zeigt sich: Der Prozess hängt und droht zu versacken.
Trotz der eingeschränkten Aussicht auf Erfolg hält Weidenholzer es für notwendig, „eine klare Linie zu ziehen. Man kann nicht immer aus taktischen Gründen alles hinnehmen.“So wie etwa die jüngste Drohung von Polens Vize-Premier Gowin: Der hatte gemeint, Warschau werde „leider“ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) nicht anerkennen können, sollte der EuGH im Fall der umstrittenen Justizreform gegen Polen entscheiden.
Auch Ungarns Premier Viktor Orban reize bewusst den Raum der Rechtsstaatlichkeit immer weiter aus, konstatiert Weidenholzer. Orban verletze seit zwei Jahren systematisch die EU- Rechte. „Dabei steht bei Orban in Wirklichkeit gar keine Ideologie dahinter, sondern wirtschaftliche Interessengruppen, ein Clan hinter dem Regierungschef.“
Staaten, die den EU-Konsens brechen, können derzeit nicht wirklich sanktioniert werden. „Dazu müssen wir erst ein praktikables Instrument schaffen“, fordert Weidenholzer. „Einen Mechanismus, der früh warnt, aber auch ein Verfahren, das niederschwelliger ist. Also ein Verfahren, das nicht so drastische Strafen androht, dass sie vermutlich gar nicht eingesetzt werden können.“