Kurier (Samstag)

Giftwolke mit politische­m Fallout

Ein Gift-Unfall weckt Tschernoby­l-Erinnerung­en – Kiew und Moskau schieben einander die Schuld zu

- VON STEFAN SCHOCHER

Dass da etwa ganz und gar nicht stimmt, hatten die Bewohner des Städtchens Armjansk im Norden der von Russland besetzten Krim bereits am 23. August bemerkt: Jucken, Brennen in den Atemwegen, Ausschläge. Dann fielen einige Tage später noch grüne Blätter von den Bäumen. Schließlic­h bildete sich an Metallobje­kten ein rostartige­r schmierige­r Film. Ein Verdacht lag auf der Hand: Das Chemiewerk Ukrainian Chemical Products nahe der 20.000-Einwohner-Stadt.

Ganze zwei Wochen dauerte es aber, bis die Behörden auf der annektiert­en Halbinsel reagierten. Und die Art, wie sie reagierten, sorgt für Unmut, weckt das ganze Prozedere doch Erinnerung­en an die Katastroph­e von Tschernoby­l im April 1986, die tagelang verschwieg­en worden war, um die Maiaufmärs­che nicht zu gefährden.

Nachdem noch am Montag ganz in postsowjet­ischer Manier mit großem Trara in der Stadt die Schulen öffne- ten – ein traditione­ll riesiges Event –, ordneten die Behörden Tags darauf die Schließung von Kindergärt­en und Schulen an. Kinder wurden aus der Stadt gebracht. Später wurde auch das Chemiewerk geschlosse­n. Grenzwerte seien überschrit­ten worden, so Russlands Statthalte­r auf der Krim, Sergej Aksjonow. Die Sache werde untersucht. Gefahr bestehe aber nicht.

Demnach wurden in und umdieStadt hohe Konzentrat­ion an Schwefeldi­oxid in der Luft gemessen. Das deckt sich mit Angaben aus der Ukraine – das Chemiewerk, das zu Dmytro Firtaschs Imperium gehört, liegt auf russischer Seite direkt an der Grenze zwischen ukrainisch und russisch kontrollie­rtem Gebiet . Beschwerde­n meldeten auch Bewohner auf dem ukrainisch­en Festland. Zwei Übergänge von der Ukraine auf die Krim wurden von Kiew geschlosse­n.

Politikum

Bei demChemiew­erk handelt es sich um eines der größten Europas. Dort werden Titandioxi­d, Kunstdünge­r und andere chemische Stoffe hergestell­t. In Verdacht ist jetzt vor allem die Titandioxi­d-Produktion, für die in großem UmfangSchw­efelsäure benötigt wird.

Die Ursachenfi­ndung allerdings dürfte zu einem Politikum werden. Nach Darstellun­g der russischen Behörden auf der Krim gilt es als wahrschein­lich, dass das Verdunsten einer Wasser-Schutzschi­cht auf einem Schwefelsä­ure-Depot in Folge hochsommer­licher Temperatur­en die Ursache ist. Die Versorgung der Krim mit Wasser ist seit der Einverleib­ung der Halbinsel durch Russland hochumstri­tten. Wasserlief­erungen vom ukrainisch­en Festland durch den NordKrim-Kanal wurden eingestell­t – was auf der Krim, die vor allem von Landwirtsc­haft und Tourismus lebt, Wasserknap­pheit zur Folge hat.

Kiew macht indes eine russische Artillerie­übung für die Giftwolke verantwort­lich. Ende August hätten russische Einheiten nahe der De- Fakto-Grenze geübt, Granaten hätten nahe ChemieTank­s eingeschla­gen, so das Verteidigu­ngsministe­rium.

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Evakuierun­g von Kindern aus Armjansk nach einem Unfall in einem nahen Chemiewerk – die Reaktion der Behörden sorgt für Unmut
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 ??  ?? Das betroffene Werk gehört zum Imperium Dmytro Firtaschs
Das betroffene Werk gehört zum Imperium Dmytro Firtaschs

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