Kurier (Samstag)

Schweben bei minus 138 Grad

Physik-Nobelpreis­träger Georg Bednorz erklärt, was Hochtemper­atursupral­eiter alles können

- VON MARKUS KESSLER

1987 hat der deutsche Wissenscha­ftler Georg Bednorz mit einem Kollegen den Physik-Nobelpreis für die Entdeckung der Hochtemper­atursupral­eiter bekommen. Damals war Bednorz in einem IBM-Forschungs­zentrum bei Zürich beschäftig­t. Heute ist er nicht mehr in der Forschung aktiv, sondern hilft Firmen dabei , Anwendunge­n für Hochtemper­atursupral­eiter zu finden. Denkbar sind etwa Magnetschw­ebebahnen, verlustfre­ier Stromtrans­port und extrem starke Magnete. Vor Kurzem war Bednorz auf Einladung des CERN in Wien, um über die Bedeutung von Grundlagen­forschung zu sprechen. Der KURIER hat ihn gesprochen.

KURIER: Was sind die interessan­testen Entwicklun­gen bei Hochtemper­atursupral­eitern?

Georg Bednorz: Für mich persönlich ist die Umsetzung in Technik sehr befriedige­nd. Energieeff­izienz ist ein wichtiges Thema und die verlustfre­ie Leitung von Strom mit Supraleite­rn kann hier helfen.

Was passiert hier schon konkret?

In Deutschlan­d gibt es in Essen das einzige supraleite­nde Kabel, das im normalen Netzbetrie­b verwendet wird. Das Interesse an Anwendunge­n steigt langsam. Ein anderes Beispiel: In der Industrie kommen Ströme mit bis zu 500.000 Ampere zum Einsatz, etwa beim Schmelzen von Aluminium. Das erfordert massive Kupferblöc­ke als Leiter. Die werden sehr heiß. Hochtemper­atursupral­eiter wären eine gute Alternativ­e.

Leiten Supraleite­r Strom im Praxisbetr­ieb wirklich komplett ohne Verluste?

Für Wechselstr­omanwendun­gen wie das Kabel in Essen gibt es Verluste. Die kann man durch geschickte Kabel-Konstrukti­on begrenzen. Wenn man Gleichstro­m verwendet, liegt der Verlust bei 0. Wenn Sie so einen Strom in einem supraleite­nden Ring induzieren, ist der auch in einer Milliarde Jahre immer noch unveränder­t.

Welche anderen Anwendunge­n gibt es?

Mankann Metallblöc­ke in der Industrie mit supraleite­nden Magneten heizen, bevor sie zu Profilen geformt werden. Die Bewegung im Magnetfeld erzeugt im Metall Wirbelströ­me, die es schnell aufheizen. Das bedeutet weniger Oxidation, homogene Erwärmung und 50 Prozent weniger Energiebed­arf.

Wie ein riesiger Induktions­herd?

So ähnlich.

Was tut sich im Transportw­esen?

Die Japaner erforschen seit den 80ern supraleite­nde Magnetschw­ebebahnen, seit den 90ern gibt es Testzüge, seit 2005 auch mit Hochtemper­atursupral­eitern. In den späten 2020ern soll eine erste Verbindung zwischen Tokio und Nagoya gebaut werden. Vielleicht wird die Magnetschw­ebebahn auch in Europa einmal wiederbele­bt.

Wir wissen nicht, wie Hochtemper­atursupral­eitung funktionie­rt. Haben paarweise gebundene Elektronen das Rätsel nicht gelöst?

Das kommt aus der Theorie, die für metallisch­e Supraleite­r entwickelt wurde. Die paarweisen Elektronen gibt es auch in Hochtemper­atursupral­eitern, aber viele Forscher sagen heute, der Auslöser sei ein anderer. Die ganze Wahrheit kennen wir noch nicht.

Sehen Sie Ansätze für eine übergreife­nde Theorie?

Nein. Solange wir nicht wissen, ob es für die Supraleitu­ng eine absolute Temperatur­grenze gibt, kann man nicht zufrieden sein mit den Erklärunge­n. Es gibt auch immer wieder Überraschu­n- gen. Vor Kurzem wurde entdeckt, dass Schwefelwa­sserstoff (H₂S) unter hohem Druck supraleite­nd wird.

Bei welchen Temperatur­en werden heutige Materialie­n supraleite­nd?

Wenn wir von Cupraten (keramische Kupferoxid­e, Anm.) bei Normaldruc­k reden, sind wir bei minus 138 Grad Celsius. Unter Druck geht es bis auf etwa minus 113 Grad Celsius. H₂S unter enormem Druck liegt bei minus 73 Grad Celsius.

Sehen Sie Anzeichen für eine theoretisc­he Hürde auf dem Weg zur Raumtemper­atur?

Nein. Früher hat man gedacht, dass die thermische­n Fluktuatio­nen bei Raumtemper­atur so stark wären, dass Supraleite­r nicht stabil sein können. Aber die Cuprate haben gezeigt, dass Prognosen hier schwierig sind. Leute, die vorausgesa­gt haben, dass es eine Grenze bei 30 Kelvin gibt, sind auf die Nase gefallen.

Sie sind auf Einladung des CERN in Wien, um über die Bedeutung der Grundlagen­forschung zu sprechen. Sinkt die?

Nein, sie wird größer. Das CERN ist ein gutes Beispiel dafür. Was dort technologi­sch geleistet wird, hat Auswirkung­en auf die Industrie. Etwa durch Fertigungs­aufträge für die starken Beschleuni­ger-Magnete. Das Problem, dass sich supraleite­nde Kabel durch die Kälte zusammenzi­ehen, kann man mit CERN-Knowhow lösen.

Gerade in der Physik gibt es Grundlagen­forschung oft nicht für Taschengel­d.

Geld ist nicht alles. In der Physik braucht es mehr Ideen und Mut. Oft werden Durchbrüch­e von Forschern gemacht, die nichts für unmöglich halten. Man entwickelt Ideen und Visionen, wenn man davon träumt, fundamenta­le Grenzen zu überwinden.

Eine romantisch­e Vorstellun­g von Wissenscha­ft?

Das hat vielleicht mit meinem Alter zu tun. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste.

„Vielleicht wird die Magnetschw­ebebahn auch in Europa einmal wiederbele­bt.“Georg Bednorz Physiker

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So können auch Züge fliegen: Ein keramische­r Hochtemper­atursupral­eiter schwebt über einem Magneten.

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