Kurier (Samstag)

Berge werden unterschät­zt

Wanderer haben bessere Ausrüstung als früher, aber oft fehlen Kondition und Tourenplan­ung

- VON ELISABETH HOLZER

Wandern. Mangelnde Kondition und Selbstüber­schätzung führen zu immer mehr Rettungsei­nsätzen.

Ein Elfjährige­r kauert auf einem Felsvorspr­ung und traut sich nicht über die Brücke, die 250 Meter über Grund hängt.

Eine Urlauberin löst am Kletterste­ig ihre Haken aus dem Seil und steigt nach unten, um ihr verlorenes Handy aufzuklaub­en. Dann sitzt sie fest, weil sie ohne Sicherung nichtweite­rklettern kann. Apropos Mobiltelef­on: Am Donnerstag verirren sich zwei Deutsche auf dem Dachstein in Steilgelän­de − sie haben dem GPS-Handy-Lotsen zu sehr vertraut.

Drei Einsätze der vergangene­n paar Tage untermauer­n Einschätzu­ngen der Bergretter: „Outdoor boomt. Das ist schön. Aber die Leute überschätz­en sich oft und unterschät­zen, dass am Berg halt ein gewisses Risiko gegeben ist“, sagt Stefan Hochstaffl, Präsident des Österreich­ischen Bergrettun­gsdienstes. Die Zahlen belegen: Die Bergretter mussten 2017 um 19 Prozent öfter ausrücken als 2016 (siehe Grafik).

Die Kondition fehlt

Woran liegt das? Jedenfalls nicht mehr an der mangelnden Ausrüstung, betont Christian Kräutler vom Kuratorium für Verkehrssi­cherheit (KfV). Ein KfV-Team sah 700 Wanderern und Bergsteige­rn auf die Füße: 70 Prozent trugen Bergschuhe, 20 Prozent gute Turnschuhe. „Aber vielen hat die Kondition gefehlt“, betont Kräutler. „Wenn ich das Jahr über keine zwei Stockwerke am Tag gehe, dann wird das im Urlaub beim Wandern konditione­ll ein Problem.“70 Prozent gaben bei der Befragung zu, vor der Tour kaum trainiert zu haben.

Bergretter Hochstaffl teilt diese Einschätzu­ng. „Flip Flops auf den Bergen sind fast weg. Aber was nützt mir die beste Ausrüstung, wenn ich damit nicht umgehen kann?“Fehlende Kondition ist das eine, nicht vorhandene Planung das andere. Laut KfV schaut sich ein Viertel der Wanderer die Tour vorab nicht an, ein Drittel der Unfälle passiert auf nicht markierten Wegen: Die Leute verirren sich, vertrauen deminBerge­n oft verfänglic­hen GPS-Signal ihres Handys.

Das immer breiter werdende Angebot lockt. „Die Anzahl der Kletterste­ige hat sicher um 50 Prozent zugenommen“, schätzt Präsident Hochstaffl. Doch gerade dort würden Schwierigk­eitsgrade wie Distanz oft unterschät­zt. „Da gehen Leute, die ein bisserl in der Halle geklettert sind, auf Touren, die drei, vier, fünf Stunden dauern“, berichtet Hochstaffl. „Damit haben sie nicht gerechnet.“Dann klingelt es bei der Bergrettun­g, weil Erschöpfte abzuholen sind.

Der beliebtest­e Sport

Die Natur ist sexy geworden, auch für Jüngere: Wandern und Berggehen sind laut Umfrage des KfV die beliebstet­e Sportart, weit vor Radfahren und Schwimmen. Auf hochgerech­net 200 Millionen Wanderstun­den kommen die Österreich­er pro Jahr.

Doch da ergibt sich ein Paradoxon: Wandern werde als Sport betrachtet, aber als einer, der kaum Training brauche, wundert sich KfVExperte Kräutler. „Wandern klingt so harmlos wie Spazieren gehen im Dorf. Berge werden mehr unterschät­zt, als einen Marathon zu laufen.“

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