„Gegen Versuch, Presse zu knebeln“
Christdemokratischer EU-Kommissionschef setzt in Wien klares Zeichen für Medienfreiheit
Bei seinem zweitägigen Aufenthalt in Wien setzte EUKommissionspräsident JeanClaude Juncker bewusst „ein klares Zeichen“. „Ich habe dem KURIER, dem Standard und dem Falter ein Interview gegeben und die Israelitische Kultusgemeinde und die Synagoge besucht“, sagte Juncker beim Bürgerdialog im ÖGB. Die drei genannten Medien wurden zuletzt in einem Mail des Innenministeriums genannt mit dem Hinweis, die Informationen an KURIER, Standard und Falter seien „auf das nötigste Maß zu beschränken“.
Das Interview mit Juncker führten Thomas Mayer (Der Standard), Florian Klenk und Raimund Löw ( Der Falter) sowie Margaretha Kopeinig und Ingrid SteinerGashi für den KURIER. Wie begründen Sie das Interview mit den drei Medien? Jean-Claude Juncker: Ich mochte es nicht, dass Sie in Bedrängnis gebracht wurden, und da wollte ich ein klares Zeichen setzen. Es gibt vielerorts den Versuch, die Presse entweder zu knebeln oder ihnen die Linie vorzugeben. Beides ist nicht zulässig. Wenn Gefahr für Pressefreiheit und Grundrechte droht, wenn zur Intoleranz eingeladen wird, dann muss man aufstehen. Es reicht nicht, wenn wir uns in abgedunkelten Hinterzimmern über dieses Phänomen beklagen. Was ist Ihre Erklärung dafür, dass Regierungen glauben, sie könnten mit Druck auf freie Medien bei der Bevölkerung punkten. Woher kommt das plötzlich?
Ich sehe stellenweise den Versuch, die Presse nicht mit ganzer Ernsthaftigkeit wahrzunehmen. Ich habe nicht denEindruck, dass die Bürger Europas dem mit Vergnügen zusehen. Die Menschen wissen, ohne Pressefreiheit gibt es keine Demokratie. Wennes um politische Meinungsbildung geht, dann braucht es einen edlen Wettbewerb zwi- schen denen, die von Amtswegen verkünden, was sie zu verkünden haben, und denen, die das kritisch begleiten. Ich fühle mich durch die Presse nicht eingeengt. Und ich will auch nicht, dass die Presse durch das politische System eingeengt wird. Das geht schief. Der Druck auf die Presse ist nur ein Phänomen des autoritären Drucks. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass wir in einer neuen Zeit leben?
Nein, den Eindruck habe ich nicht, obwohl ich mancherorts autoritäre Zungenschläge bemerke. Man muss aufstehen gegen den stupiden Nationalismus. Das ist nicht zu verwechseln mit dem lebendigen Patriotismus. Den halte ich nach wie vor für wünschenswert. Dass man das liebt, was einen umgibt, das hat mit Abwehr und Nationalismus nichts zu tun. Diesem bornierten Populismus, der denEindruck gibt, er könne erfolgreich durch Europa reiten, demmussman sich in den Weg stellen. Wenn klassische politische Parteien den Populisten nachlaufen, werden sie selbst zu Populisten. Man merkt das an einigen Stellen in Europa, wo einige in den klassischen Parteifamilien sich einer Wortwahl bedienen, die auch von den extrem Rechten gebraucht wird. Dagegen wehre ich mich. Den Wettbewerb der Ideen führt man schon lange mit Polen, mit Ungarn, aber die erwünschte Kursänderung tritt nicht ein.
Wir haben einige Instrumente zur Verfügung, die wir nützen, indem wir etwa vermutete oder wirkliche Rechtsbrüche vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Vertragsverletzungsverfahren sind nichts Ungewöhnliches. Es gibt weit über tausend Verfahren gegen Mitgliedstaaten, weil sie Richtlinien nicht richtig oder überhaupt nicht umgesetzt haben. In diesem Instrumentenkasten findet man die Werkzeuge, die man braucht, um dem europäischen Recht zur Geltung zu verhelfen. Aber das sind doch ungewöhnliche Verfahren gegen Ungarn und Polen. Man will dort eine illiberale Demokratie schaffen. Wie lange kann Europa zusammenbleiben, wenn Grundideen nicht geteilt werden?
Ich kann mit diesem Terminus der illiberalen Demokratie nicht sehr viel anfangen. Wenn illiberal hieße, dass man ohne Not Ausländer an den Pranger stellt, weil sie anders sind als wir, wenn man mittlere bis tiefe Eingriffe in die freie Meinungsäußerung, sprich Pressefreiheit, vornimmt, wenn man Abschied nimmt vom Grundkodex der EU, den man im Vertrag nachlesen kann, dann ist ein Stadium erreicht, wo man diese Instrumente, ich meine den Artikel 7 des Vertrages (rechtsstaatliches Verfahren, Anm.) anwenden muss. Zum Brexit: Wird es mit den Briten Mitte Oktober beim EU-Gipfel eine Einigung geben?
Wir müssen Abstand nehmen von diesem No-Deal-Szenario. Ich gehe davon aus, dass wir eine Einigung finden, was den Austrittsvertrag anlangt. Wir müssen uns auch auf eine politische Erklärung verständigen, die diesen Austrittsvertrag begleitet. So weit sind wir noch nicht. Aber unser Wille ist ungebrochen, mit der britischen Regierung eine Verständigung zu erzielen. Ist ein Exit vom Brexit möglich?
Das liegt im Ermessensspielraum des britischen Parlaments und der Regierung. Zur Migration: Was konkret ist bis Jahresende an Beschlüssen unter österreichischem EU-Vorsitz zu erwarten?
Ich hätte gerne, dass der österreichische Ratsvorsitz sich intensiv darum bemüht, dass wir den Schutz der Außengrenzen auf das Niveau bringen, welches die Kommission vorgeschlagen hat. Ich bin einigermaßen erstaunt darüber, dass alle nach einem besseren Schutz der Außengrenzen gerufen haben, und einige jetzt überrascht sind von den Vorschlägen, weil sie fürchten, die nationale Souveränität gerate in Bedrängnis. *** Das ungekürzte Interview finden Sie auf kurier.at