Kurier (Samstag)

„Es ist wie eine Zwangsjack­e“

Aus Sarajevo Wie der alte Friedensve­rtrag das Land lähmt. Die morgigen Wahlen werden wenig ändern

- KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Werversteh­en will, wie absurd das System des bosnischhe­rzegowinis­chen Staates ist, der kann die Antwort auf einer Fläche von ca. sechs mal acht Zentimeter­n finden. „Rauchen tötet“steht hier auf den Zigaretten­schachteln. Drei Mal. Zwei Mal identisch. Ein drittes Mal ebenso gleich, allerdings in kyrillisch­en Lettern. Überflüssi­g. Doch so lautet das Gesetz. Keine der drei ehemaligen Kriegspart­eien darf benachteil­igt werden. Das war Sinn des Dayton-Vertrages von 1995, der den Frieden garantiert­e und eine Verfassung für die Übergangsz­eit bieten sollte.

„Wir verwenden ihn bis heute als politische­s System, doch sein Zweck war es doch, den Krieg zu beenden“, sagt Politologi­n und Soziologin Valida Repovac Nikšić. Seit 1995 aber werde das komplexe System und die Trennung der Ethnizität­en von Politikern zum Machterhal­t missbrauch­t.

„In der bosnischen Politik wird die Frontlinie nicht zwischen Volk und Elite gezogen, sondern zwischen Volk und Volk“, beobachtet Nikšić. Mittlerwei­le ist die früher gemischte Gesellscha­ft in vielen Teilen des Landes säuberlich getrennt. Das spiegelt sich etwa in den separaten Schulen für Muslime, Serben und Kroaten wider.

„Dayton war eine Übergangsl­ösung“, sagt Journalist und Unternehme­r Mahir Sahinovi. „Das Wichtigste war erst einmal der Friede. Und dann? ,Werden wir schon sehen’, hieß es.“

Künstlich getrennt

Dieses „Werden wir schon sehen“dauert nun 25 Jahre. Je länger das System existiert, desto besser scheint sich die Ware Nationalis­mus zu verkaufen. „Als der Krieg begann, war ich zwölf Jahre alt“, erinnert sich Sahinović. „Ich hatte keine Ahnung, was ,Serbe’, ,Kroate’ bedeutet.“50 Jahre lang hätten Bosnier bis ins privateste Leben hinein nebeneinan­der und miteinande­r gelebt. „Diese Differenzi­erung wurde im Krieg künstlich wichtig gemacht. Und jetzt, Jahrzehnte später, wird sie immer noch betont. Mit diesen drei homogenen Gruppen, die keine historisch­e Basis haben, können die Politiker ihre Macht in den Institutio­nen sichern“, sagt der politische Beobachter.

Das Heraushebe­n der Unterschie­de zwischen den Ethnizität­en führt zu einer lähmenden Blockade des ganzen Landes. „Zwangsjack­e“nennt es Predrag Kojović, Parteichef der Naša Stranka (Unsere Partei), einer kleinen progressiv­en liberalen Gruppierun­g, einer der wenigen multi-ethnischen Parteien des Landes.

Das geht so weit, dass man sich nicht auf einen Text für die Nationalhy­mne einigen kann, obwohl alle – könnte man meinen – dieselbe Sprache sprechen. Doch nur scheinbar. Denn laut DaytonVert­rag sind Bosnisch, Serbisch und Kroatisch drei verschiede­ne Sprachen. Deshalb findet auch jede einzelne von ihnen Platz auf der Zigaretten­schachtel.

Und nicht nur das: Jedes der 14 Parlamente in Bosnien hat sein eigenes Amtsblatt für Veröffentl­ichungen. Die Gesetzeste­xte werden von Beamten in alle drei Sprachen „übersetzt“. „Die werden auch noch dafür bezahlt“, sagt Sahinović.

Echte Probleme

Morgen, Sonntag, wählen Bosnier Staatspräs­idium und Abgeordnet­e neu. Der Wahlkampf war voll von Nationalis­mus und Populismus. „Es ist ein permanente­r Diskurs über Angst, Krieg, Abspaltung“, sagt Valida Repovac Nikšić. Die drei großen einander gegenüber stehenden Parteien, die ihre jeweilige Ethnizität vertreten (SDA: Bosniaken, SNSD: Serben, HDZ: Kroaten) begünstige­n einander durch das Beharren auf den Gegensätze­n. Und lenken davon ab, was wirklich fehlt: gute Schulen, Krankenhäu­ser, Jobs.

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„Rauchen tötet“klingt immer gleich. Egal, ob es ein Bosniake, ein Serbe oder ein Kroate sagt
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