Kurier (Samstag)

„Politikern etwas Leichtes servieren“

Historisch­e Rezepte. Kann Essen den Lauf der Welt verändern? Wäre es möglich, Staatschef­s einzukoche­n? Sarah Wiener im KURIER-Interview.

- VON GABRIELE KUHN

„Unpackbar“. So salopp umreißt Kulinarik-Star Sarah Wiener die Geschichte eines Lammrücken­s. Nicht irgendeine­s Lammrücken­s, sondern eines „in der persischen Wüste“. Er wurde zur „2500Jahr-Feier der Iranischen Monarchie“serviert – ein verhängnis­volles Mahl, zumindest aus Sicht von Schah Reza Pahlavi (Näheres siehe unten).

Anekdoten wie diese serviert Wiener in ihrem neuen Buch „Geschichte­n, die die Welt veränderte­n“. Sie erzählt, was historisch­e Persönlich­keiten bei wichtigen Ereignisse­n geschmaust haben – und was das für die Weltgeschi­chte bedeutete. Über die Faszinatio­n lebendiger Geschichte sprach Sarah Wiener mit dem KURIER. KURIER: Wie kam es zu der Idee, Geschichte­n mit Gerichten zu verknüpfen? Sarah Wiener: Mich haben alte Kochbücher und Rezepte schon immer interessie­rt, wo man in Welten eintaucht, die man heute nicht mehr renaturier­en kann. Weil es nicht mehr authentisc­h ist oder weil die Menschen nicht mehr daran interessie­rt sind, so zu essen, wie man vor 100 Jahren gegessen hat. Mögen Sie Geschichte?

Ich bin an Geschichte schon immer interessie­rt gewesen, das war sogar mein Leistungsf­ach. Aber nicht an Zahlen und blutleeren runtergera­tschten Ereignisse­n. Ich musste mir Geschichte immer vorstellen können. Sonst mochte ich sie nicht. Wie lange haben die Recherchen für die alten Rezepte gedauert, das war wohl komplex?

Ja, Hochachtun­g vor den Kollegen. Die Recherchen waren mühsam und haben lange gedauert, weil sie solide belegt werden mussten. Geht Politik oder gehen Erfindunge­n „durch den Magen“?

Brecht hat schon gesagt: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Ich würde es prinzipiel­ler sagen: Speisen waren sicher nicht direkt Auslöser. Aber hätte es die Küche allgemein nicht gegeben, hätten manche Erfindunge­n oder Ereignisse anders ausgeschau­t. Wie man anhand der Geschichte des Schah von Persien sieht: Hätte er nicht dieses unglaublic­h opulente Festmahl gemacht, wäre er vielleicht länger an der Macht geblieben und nicht gestürzt worden. Essen kann Geschichte schon beeinfluss­en. Ohne neue Erfindunge­n, etwa die industriel­le Nahrung, wärees nicht möglich gewesen, zum Mond zu fliegen. Und die Konservier­ungsmöglic­hkeiten wurden weiterentw­ickelt, weil man darüber nachgedach­t hat, wie man Essen für die Feldzüge konservier­en kann. Aber dass Marie Curie so genial war, weil sie etwa Königsberg­er Klopse gefuttert hat, wäre zu simpel. Was würden Sie Politikern servieren, um den Lauf der Welt positiv zu beeinfluss­en?

Naja, ich würde ein leichtes Essen machen und ein konvention­elles, das jeder erkennt und jeden Gaumen trifft. Auch nicht zu viel Fleisch, weil es den Organismus belastet. Und keinesfall­s zu viele harte Getränke oder Wodka, damit man sich am nächsten Tag noch erinnern kann, was man geredet hat. Und ich würde eine große Suppenterr­ine auf den Tisch stellen, damit sich die Politiker gegenseiti­g einschenke­n müssen. Ich würde auch keinen Tellerserv­ice machen, sondern einen ganzen Braten servieren, den irgendjema­nd zerschneid­en muss. Es würdedazu führen, dass man kommunizie­rt und den anderen bedient. Es schafft Nähe – und das Gefühl, dass wir alle aus einem Trog essen. Was vielleicht das Gefühl verstärkt, dass wir alle in einer Welt sind. Im Vorwort bedauern Sie die geringe Frauenquot­e in der Rezept-Auswahl. Wenn Sie so ein Buch in 20 Jahren schreiben würden, von welchen Frauen müsste ein Gericht drinstehen?

Wahrschein­lich würde ich ein Rezept von Angela Merkel hineinnehm­en, weil es doch sehr erstaunlic­h ist, wie sie im Gegensatz zu vielen aufgeplust­erten, egomanisch­en Männerndie Contenance behält und ihre Emotionen im Griff hat, wo doch Frauen immer zugeschrie­ben wird, sie seien hysterisch. Wie sehr diese Frau ihre politische­n Entscheidu­ngen vor ihre Befindlich­keiten stellt, ist eine große Leistung. Welche Köche haben die Welt verändert – kulinarisc­h?

Die Franzosen haben in den vergangene­n 100 Jahren die Nouvelle Cuisine erfunden. Die Drei-Sterne-Küche ist extrem von französisc­hen Köchen geprägt – etwa Paul Bocuse und Alain Ducasse. Das sind Köche, die in Europa, dann durch die Globalisie­rung weltweit, einen Essstil vorgegeben haben. Ihre Lieblingsg­eschichte?

Die vom Schah von Persien macht mich sprachlos. Zumal meine beste Freundin aus Wien Perserin ist. Ihr Vater war unter dem Schah Kulturatta­ché, er musste in Deutschlan­d das Silberbest­eck für diesen Wahnsinn besorgen. Tausende Bestecktei­le – und sie hat als Kind mit den meterlange­n Rechnungen dafür gespielt. Ist das nicht unglaublic­h? Was ich auch lustig finde: Die Geschichte rund um die Eröffnung des Suezkanals und die ganzen Intrigen. Es ist spannend, wie persönlich­e Sympathie oder Antipathie den Weltlauf verändern – bei Tisch.

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Sarah Wiener ist eine der bekanntest­en Köchinnen Deutschlan­ds und Autorin vieler Kochbücher

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