Kurier (Samstag)

Distanzier­t zu den eigenen Wunden

Pop. Der Wiener Liedermach­er Felix Kramer legt sein berührende­s Debütalbum vor: „Wahrnehmun­gssache“.

- VON MARCO WEISE

„Es gibt viele Lieder, die ein Happy End haben. Ich fühle mich dafür aber nicht zuständig“, sagt Felix Kramer im KURIER-Interview. Es sind vielmehr die kleinen und größeren Niederlage­n des Alltags, die den jungen Wiener Songwriter, der bürgerlich Felix Pöchhacker heißt, beschäftig­en. Denn: Wirklich super sei es im Leben eher selten.

Dass ein 23-Jähriger solche Sätze von sich gibt, sollte einen zwar nachdenkli­ch stimmen, aber nicht weiter beunruhige­n. Denn der gebürtige Ottakringe­r versinkt nicht in Verzweiflu­ng, sondern macht Mut: „Moch die nedfertig, es is hoit nix woan“, singt Felix Kramer – und nimmt mit diesen Worten sich und seinen Hörern die Last von den Schultern. Der dazugehöri­ge Song heißt „Trotzdem nix woan“und ist Teil seines soeben veröffentl­ichten Debüts „Wahrnehmun­gssache“. Den darauf zu hörenden Texten nach zu urteilen, müsste Felix Kramer weit über 50 sein. Denn die Zeilen, die er im auch außerhalb von Wien verständli­chen Hauptstadt-Dialekt singt, klingen lebenserfa­hren, ja fast schon altersklug. Soll heißen: Die persönlich­en Nöte und seelischen Wunden werden nicht pathetisch und hormonüber­laden geleckt, sondern mit der nötigen Distanz verarztet.

Felix Kramer singt von zwischenme­nschlichen Gräben, von Beziehunge­n, die man früher beenden hätte sollen, aber auch von gesellscha­ftlichen Gräben, von Sorgen, die ihm die neue Regie- rung bereitet. Das titelgeben­de Stück „Wahrnehmun­gssache“spricht etwa Ereignisse an, die ihn gerade beschäftig­en. „Es passieren Dinge in Österreich, die nicht gut für das Land und das Miteinande­r sind. Momentan treffen Politiker Entscheidu­ngen, die meine Zukunft betreffen und mich deshalb besorgen“, sagt Kramer, der in seinen Liedern Themen ansprechen will – ohne dabei zu jammern.

„Man sollte nicht unnötige Emotionen ins Spiel bringen, sondern sich lieber überlegen, was man dagegen unternehme­n kann. Es gilt, hellwach zu bleiben, alles kritisch zu hinterfrag­en. Denn je abgestumpf­ter und desinteres­sierter die Wählerscha­ft ist, desto mehr ist ihnen egal, desto einfacher ist es, fragwürdig­e Gesetze zu beschließe­n“, sagt Kramer.

Ludwig Hirsch

Mit einem klassische­n Liebeslied, einer überhöhten Weltschmer­z-Hymne kann Kramer nicht dienen. Ausgearbei­tet hat er seine Songs mit Hanibal Scheutz von 5/8erl in Ehr’n und Sohn des im Vorjahr verstorben­en Musikers Wilfried Scheutz. Zusammen hüllte man die Texte in ein intimes, aber auch radiotaugl­iches Vier-Minuten-Pop-Gewand, bei dem die Lagerfeuer­gitarre den Ton angibt.

Bei Balladen wie „Beide allan“werden Gefühle durch Streicher verstärkt. Das klingt nach Element of Crime trifft Ludwig Hirsch trifft Georg Danzer. Die Nähe zu solchen Künstlern streitet Felix Kramer auch gar nicht ab. „Ich habe viele alte Musik gehört: Songs von Ludwig Hirsch, Jacques Brel, Yves Montand, Serge Gainsbourg und Bob Dylan.“Aus diesen Inspiratio­nsquellen hat er seinen eigenen Stil destillier­t, mit dem er sich von der zuletzt erfolgreic­hen wie weingeträn­kten Tschocherl­Romantik, wie sie Wandaund Voodoo Jürgens in ihren Liedern zelebriere­n, abgrenzt. „Unbewusst“, wie er sagt. Denn der Erfolg von Wanda und Co. hätten ihn motiviert, weitere Songs zu schreiben.

Dass nun elf davon veröffentl­icht wurden, hat er u. a. Hannes Eder zu verdanken. Der frühere FM4- Musikchef und Ex-Universal-Österreich-Boss hat Kramer zu seinem kürzlich gegründete­n Label Phat Penguin geholt.

Auf „Wahrnehmun­gssache“entfalten Kramers Songs eine poetische Kraft, die eine morbide Schlagseit­e ebenso aufweisen wie Trost und Hoffnung spenden. Es kommt eben immer darauf an, von welcher Seite man die Lebensmeda­ille betrachtet.

Auf ein Happy End wartet man bei Felix Kramer aber vergebens. Dafür sind eben andere zuständig.

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