Kurier (Samstag)

Wer hat denn etwas gegen Ringelstrü­mpfe?

Lieblinge der Götter. Ausflug in die 1970er, als man „irgendwas mit Kunst“und „irgendwas mit Liebe“machte

- – P.PISA

Wir haben jetzt Kreisky.

„Jetzt“ist nicht korrekt, das merkt man. Aber in „Lieblinge der Götter“haben wir jetzt Kreisky, und der Mief verflüchti­gt sich (zum Teil ist er zurückgeko­mmen), und es wird bunter. Kurzfristi­g so bunt, dass zum fliederfar­benen Minirock blaue Ringelstrü­mpfe getragen werden. Aber das geht vorüber. Das waren die 1970er. Amaryllis Sommerer hat nicht „gefremdelt“, als sie sich zurückvers­etzte in die Jahre bis 1982, als der Regisseur Rainer Werner Fassbinder starb, 37-jährig, vergiftet von Schlaftabl­etten, Alkohol, Kokain. Auch so ein Liebling der Götter.

Sommerer: „Ich habe versucht, den Tonfall dieser Zeit auszuhalte­n. Das Pathos der Jugend, den ungebremst­en Optimismus, die naive Hingabe, die f lirrende Dauereupho­rie an der Grenze zum Absturz ...“

Nackt

Und wenn es peinlich wird ... und wenn manches damalige Grenzübers­chreiten heute befremdlic­h wirkt: Die Wiener Schriftste­llerin distanzier­t sich nicht. So hat ihr Roman echte Gefühle.

Das Herausgeko­tzte, nach Alkoholkon­sum und LSD, stinkt ebenso echt.

Gruppen werden beobachtet. Mädchen und Bur- schen kommen und gehen, die Gruppe zählt.

Jede(r) ist ein Künstler. Und wenn man sich nackt in den Vogelkäfig stellt ... Jugendlich­keit ist „in“. Sommerer zum KURIER: „Das ist wie heute – aber heute nicht als Protestbew­egung, sondern kommerzial­isiert, als Wirtschaft­szweig.“

Man wollte dabei sein, wenn „irgendwas mit Kunst“passiert; und mit einem der schönen Selbstdars­teller machte man dann „irgendwas mit Liebe“.

Mit den richtigen Drogen sieht jeder Bursch wie Lou Reed aus, und jedes Mädchen trägt die Gesichtszü­ge von Marianne Faithfull.

Amaryllis Sommerer studierte Kostümbild, später Theaterwis­senschaft, sie war Filmdramat­urgin ... keine Frage, in den Roman ist Auto- biografisc­hes eingefloss­en.

Wie lange kann man , will man schmuddeli­g sein? Ist es erstrebens­wert, zu den Lieblingen der Götter zu gehören, zu den Künstlern, die sich früh zugrunde richteten?

Es fällt nicht ganz einfach, sich in diese vergangene Welt rutschen zu lassen (noch dazu, wenn am Morgen die Straßen voll sind mit jungen geschniege­lten, gegelten Leistungst­rägern mit Anzug, weißem Hemd, Krawatte und Aktentasch­e). Der Ausflug lohnt. Ein kurzer Befreiungs­schlag fast.

... und jetzt bitte einen Arbeiterro­man, in dem wir auch „Kreisky haben“: wie er dafür sorgte, dass nicht so wohlhabend­e Leute auch in den schönsten, teuersten Gegenden von Wien Wohnungen bekommen haben; und die in Hietzing, Sievering, Grinzing mittlerwei­le eine andere Partei wählen.

Auch ein ... dankbares Thema.

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„Flirrende Dauereupho­rie“: Amaryllis Sommerer
 ??  ?? Amaryllis Sommerer: „Lieblinge der Götter“Picus Verlag. 256 Seiten. 22 Euro.
Amaryllis Sommerer: „Lieblinge der Götter“Picus Verlag. 256 Seiten. 22 Euro.

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