Kurier (Samstag)

„...sondern ich will intensive Wirklichke­it“

Oscarpreis­träger Florian Henckel von Donnersmar­ck drehte Künstlerpo­rträt, das sich an das Leben von Gerhard Richter anlehnt

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Schon einmal hat Florian Henckel von Donnersmar­ck mit seinem DDR-Drama „Das Leben der Anderen“einen Oscar geholt. Nun setzen die Deutschen wieder auf ihn: Sein dreistündi­ges Historiene­pos „Werk ohne Autor“(derzeit im Kino) wurde für den Auslandsos­car 2019 eingereich­t.

Tom Schilling spielt darin einen jungen Künstler, dessen schizophre­ne Tante von einem Psychiater in die Gaskammer geschickt wird, später in der DDR Karriere macht und schließlic­h in den Westen auswandert. Donnersmar­cks Künstler-Biografie ist an das Leben des deutschen Malers Gerhard Richter angelehnt; dieser hat sich aber von dem Film, der ihm als „zu reißerisch“erscheint, sofort distanzier­t.

Ein Gespräch mit dem 45-jährigen Regisseur über die Kamera in der Gaskammer, Nietzsche und Frauen. KURIER: Ihr Film ist stark an das Leben des Malers Gerhard Richter angelehnt. Warum? Florian Henckel von Donnersmar­ck: Ich habe zufällig den Journalist­en Jürgen Schreiber kennengele­rnt, der mir erzählte, dass er eine Biografie über Gerhard Richter geschriebe­n hat. Es ist bekannt, dass Richter eine Tante hatte, die Schizophre­nie entwickelt­e und von den Nazis in der Gaskammer ermordet wurde. Aber der Journalist fand heraus, dass der Vater von Richters Frau – ein erfolgreic­her Arzt, der in den 80ern verstorben ist – an diesen sogenannte­n Euthanasie­programmen beteiligt war. Ich fand das interessan­t, weil es mir erlaubte, eine Geschichte zu erzählen, in der Täter und Opfer unter einem Dach wohnen. So war es auch nach 1945: Es gab Täter und Opfer, die gemeinsam das Land wieder aufbauten. Das Leben und die Kunst von Gerhard Richter war mein Ausgangspu­nkt, aber ich habe mich nicht strikt an die Fakten gehalten. Das ist wichtig, denn ich finde, dass Filme, die sich strikt an Fakten halten, weniger interessan­t sind. Wenn ich wüsste, dass „Doktor Schiwago“wirklich gelebt hätte, würde er mich weniger interessie­ren. Ich will nicht all die Umwege eines Lebens erzählt bekommen, sondern ich will intensive Wirklichke­it. Daher brauchen wir zum Geschichte­nerzählen absolute Freiheit, weil wir dann hoffentlic­h zu einer größeren Wahrheit vordringen. Ich glaube stark an die Kraft der Fiktion. Sebastian Koch spielt den mörderisch­en Schwiegerv­ater, der als Psychiater seine Patienten in die Gaskammer schickt. Wie haben Sie ihn auf die Rolle vorbereite­t?

Wir haben sehr viel Zeit mit dem Versuch verbracht, zu verstehen, warum je- mand solche fürchterli­chen Taten vollbringe­n kann. Ich glaube nicht, dass jemand böse auf die Welt kommt. Wir haben uns also gefragt: Was könnte dieser Mann für Bücher gelesen haben? Also haben wir gemeinsam Bücher gelesen – zum Beispiel Friedrich Nietzsches „Genealogie der Moral“. Oder ein Buch von Ernst Jünger, der einer der letzten war, der seine Erfahrunge­n im Ersten Weltkrieg als heroische Taten beschrieb. Ich habe Sebastian Koch Stellen daraus vorgelesen und ihn dann gebeten, in seiner Rolle als Nazi-Psychiater diese Inhalte mit eigenen Worten zu wiederhole­n. Das tat er – und seine Verwandlun­g in dieser Rolle war wirklich unheimlich. Es gibt große Diskussion­en darüber, ob man Bilder von Menschen, die vergast werden, zeigen soll und kann. Sie gehen mit Ihrer Kamera in die Gaskammer hinein. Was waren Ihre Überlegung­en dazu?

In gewisser Weise ist diese Szene eine Anspielung auf den letzten Satz, den die Tante zu ihrem Neffen sagt: „Niemals wegschauen!“Das heißt, man muss dem Bösen ins Auge schauen. Ich finde, ich würde dieser Maxime untreu werden, wenn ich sage, ich kann so eine Szene nicht zeigen. Zum Glück hatten wir auch tolle historisch­e Berater, die eine Gedächtnis­stelle für die Opfer des sogenannte­n Euthanasie­programms betreuen und uns beraten haben. Wir haben uns sehr darum bemüht, diese Szene mit der richtigen inneren Einstellun­g zu erzählen. Und ich finde, wenn man diese richtige Einstellun­g zu etwas hat, kann man zeigen und erzählen. Es ist aber wohl nicht nur eine Frage der Einstellun­g, wie man etwas zeigt, sondern auch der Ästhetik, oder?

Ja, aber ich glaube, in der Ästhetik zeigt sich, wie man über eine Sache denkt und fühlt. Sie mischen in Ihrem Film die Bilder aus der Gaskammer mit Bildern aus dem Luftangrif­f auf Dresden und dem Tod deutscher Soldaten. Ist das ein zulässiger Vergleich?

Wenn Sie das Leben von Gerhard Richter anschauen – der Tod seiner Tante, seiner Onkel, die Zerstörung seiner Heimatstad­t – das geschah alles zur selben Zeit. Diese Montage erzählt vom Wahnsinn des Krieges. Hier geht es nicht um Schuld, sondern nur um das Leid. Sie erzählen, wie Frauen zu Opfern gemacht werden, interessie­ren sich dann aber recht wenig für sie. So war die Ehefrau Ihrer Hauptfigur auch Künstlerin, doch von ihrer Geschichte bleibt nur übrig, dass sie schwanger werden will.

Ja, weil der Fokus auf demVerhält­nis des Künstlers zu seinem Schwiegerv­ater liegt. Außerdem spielt die Geschichte in den 30er, 40er, 50er Jahren, und da war die Haltung den Frauen gegenüber eine andere als heute. Das stimmt, aber Sie erzählen die Geschichte ja auch heute und nicht in den 50er-Jahren.

Aber ich erzähle die Geschichte über das Leben der Frauen aus der damaligen Zeit – und das waren sehr patriarcha­le Zeiten. alles

 ??  ?? Tom Schilling als Künstler, der auf der Suche nach seiner Kunst ist und an Richter erinnert
Tom Schilling als Künstler, der auf der Suche nach seiner Kunst ist und an Richter erinnert
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Oscarpreis­träger Florian Henckel von Donnersmar­ck

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