Ärzte-Beratung bei Greißlerin?
Eine Wienerin will ein Zürcher Erfolgsmodell kopieren. Die Ärztekammer ist skeptisch
Idee. Eine Wienerin will ein Schweizer Vorzeigeprojekt kopieren: Ehrenamtlich tätige Ärzte beraten bei Kaffee und Kuchen.
Wer die „Greisslerei 8“in der Laudongasse in Wien 8 betritt, den begrüßt die Inhaberin mit einem Strahlen, das in der Stadt von Sigmund Freud und Karl Kraus als auffallend zu beschreiben ist. Wer dann eine der gemütlichen Sitzgelegenheiten einnimmt und an einer Melange nippt, kommt nicht umhin zu denken: Was für ein magischer Raum!
Die Grafikerin Karin Reinwald hat ihn vor zwölf Jahren geschaffen. Für sich. Für ihre Familie. Ihre Freunde. Für die Menschen im Grätzl und alle, die sich gerne in angenehmer Atmosphäre miteinander unterhalten.
„Ich möchte meinen Raum zur Verfügung stellen und eine Art ‚Greisslerei Med‘ einrichten.“
Karin Reinwald Netzwerkerin
Jetzt hat Reinwald, die von sich sagt, dass es ihr gut geht, wenn es auch anderen gut geht, wieder ein zauberhaftes Projekt vor sich: „Ich möchte meinen Raum zur Verfügung stellen und nach dem Vorbild des Schweizer Patientencafés eine Art ,Greisslerei Med’ einrichten.“
Sie hat vom „Café Med“in der Schweiz erst vor Kurzem gehört, es wurde in einer Radiosendung auf Ö1 vorgestellt. Zusammengefasst: In Zürich hat eine Gynäkologin einen eigenen Raum in einem Kaffeehaus für sogenannte „Gesprächsmedizin“erschlossen. Menschen, die angesichts der lateinischen Fachbegriffe auf ihren Diagnoseblättern nur Bahn- hof verstehen, können sich dort an ehrenamtlich tätige Ärzte wenden, die ihnen dann bei Kaffee und Kuchen Auskunft erteilen.
„Ich habe die Sendung in der Früh beim Zähneputzen gehört“, erzählt Karin Reinwald. „Spätestens beim Einkaufen auf demMarkt war für mich klar: du hast einen passenden Raum, du könntest so etwas auch anbieten.“
Knapp 300 positive Kommentare ihrer FacebookFreundinnen bestärkten die Josefstädter Unternehmerin, ihre Idee nicht mehr fallen zu lassen. Dabei strahlt sie noch mehr als bei der Begrüßung: „Wenn es nach mir ginge, könnte jeden Tag ein anderer Arzt hier sitzen und besorgte Menschen beraten.“
Die Betonung liegt auf Beratung. Wozu ihr auf Anfrage auch Patientenanwalt Gerald Bachinger geraten hat. Bachinger begrüßt ihre Idee, weil viele Patienten nach einer regulären ärztlichen Konsultation noch immer viel Gesprächsbedarf haben. Er hat ihr am Telefon versichert, dass ein Arzt lebenslang beraten darf, rät ihr jedoch auch, die Sanitätsbehörde zu befragen, ob ihr Angebot rechtskonform ist.
In der Ärztekammer lehnt man Reinwalds „Greisslerei Med“nicht von vornherein ab. Auf KURIER-Anfrage erklärt Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der nie- dergelassenen Ärzte: „Das Schweizer Beispiel zeigt, wie wichtig den Patienten Gesprächszeit mit ihrem Arzt ist. Für diese Gesprächszeit ist in der kassenärztlichen Praxis aber kaum Platz.“
Wanderpraxis?
Doch dann der klassische österreichische Reflex: Es ist alles sehr kompliziert. Steinhart wörtlich: „Das Schweizer Modell muss in Österreich unter dem Gesichtspunkt des Verbots der ,Wanderpraxis’ kritisch gesehen werden.“Die Greißlerin, die keine Wanderpraxis einrichten will und die das Glas lieber halb voll als halb leer sieht, wundert sich über die wenig konkrete Aussage: „Ein striktes Verbot hört sich anders an“, sagt sie mit einem Lächeln. Volle Unterstützung für eine Idee, die von Vertretern der Kammer zunächst sehr begrüßt wurde, hört sich allerdings auch anders an. Karin Reinwald hofft nun, die Skeptiker von ihrer Idee zu überzeugen. An sich gäbe es nur Gewinner: „Die Patienten, die besser informiert werden, pensionierte Ärzte, die ihr Wissen für einen guten Zweck weitergeben können, auch die niedergelassenen Ärzte, denen dadurch Arbeit abgenommen wird.“Praktische und Fachärzte, die sich dafür interessieren, nach Schweizer Vorbild in ihrem Lokal beratend zur Seite zu sitzen, bittet sie, sich bei ihr zu melden.