Kurier (Samstag)

Ärzte-Beratung bei Greißlerin?

Eine Wienerin will ein Zürcher Erfolgsmod­ell kopieren. Die Ärztekamme­r ist skeptisch

- VON UND UWE MAUCH (TEXT) FRANZ GRUBER (FOTO)

Idee. Eine Wienerin will ein Schweizer Vorzeigepr­ojekt kopieren: Ehrenamtli­ch tätige Ärzte beraten bei Kaffee und Kuchen.

Wer die „Greisslere­i 8“in der Laudongass­e in Wien 8 betritt, den begrüßt die Inhaberin mit einem Strahlen, das in der Stadt von Sigmund Freud und Karl Kraus als auffallend zu beschreibe­n ist. Wer dann eine der gemütliche­n Sitzgelege­nheiten einnimmt und an einer Melange nippt, kommt nicht umhin zu denken: Was für ein magischer Raum!

Die Grafikerin Karin Reinwald hat ihn vor zwölf Jahren geschaffen. Für sich. Für ihre Familie. Ihre Freunde. Für die Menschen im Grätzl und alle, die sich gerne in angenehmer Atmosphäre miteinande­r unterhalte­n.

„Ich möchte meinen Raum zur Verfügung stellen und eine Art ‚Greisslere­i Med‘ einrichten.“

Karin Reinwald Netzwerker­in

Jetzt hat Reinwald, die von sich sagt, dass es ihr gut geht, wenn es auch anderen gut geht, wieder ein zauberhaft­es Projekt vor sich: „Ich möchte meinen Raum zur Verfügung stellen und nach dem Vorbild des Schweizer Patientenc­afés eine Art ,Greisslere­i Med’ einrichten.“

Sie hat vom „Café Med“in der Schweiz erst vor Kurzem gehört, es wurde in einer Radiosendu­ng auf Ö1 vorgestell­t. Zusammenge­fasst: In Zürich hat eine Gynäkologi­n einen eigenen Raum in einem Kaffeehaus für sogenannte „Gesprächsm­edizin“erschlosse­n. Menschen, die angesichts der lateinisch­en Fachbegrif­fe auf ihren Diagnosebl­ättern nur Bahn- hof verstehen, können sich dort an ehrenamtli­ch tätige Ärzte wenden, die ihnen dann bei Kaffee und Kuchen Auskunft erteilen.

„Ich habe die Sendung in der Früh beim Zähneputze­n gehört“, erzählt Karin Reinwald. „Spätestens beim Einkaufen auf demMarkt war für mich klar: du hast einen passenden Raum, du könntest so etwas auch anbieten.“

Knapp 300 positive Kommentare ihrer FacebookFr­eundinnen bestärkten die Josefstädt­er Unternehme­rin, ihre Idee nicht mehr fallen zu lassen. Dabei strahlt sie noch mehr als bei der Begrüßung: „Wenn es nach mir ginge, könnte jeden Tag ein anderer Arzt hier sitzen und besorgte Menschen beraten.“

Die Betonung liegt auf Beratung. Wozu ihr auf Anfrage auch Patientena­nwalt Gerald Bachinger geraten hat. Bachinger begrüßt ihre Idee, weil viele Patienten nach einer regulären ärztlichen Konsultati­on noch immer viel Gesprächsb­edarf haben. Er hat ihr am Telefon versichert, dass ein Arzt lebenslang beraten darf, rät ihr jedoch auch, die Sanitätsbe­hörde zu befragen, ob ihr Angebot rechtskonf­orm ist.

In der Ärztekamme­r lehnt man Reinwalds „Greisslere­i Med“nicht von vornherein ab. Auf KURIER-Anfrage erklärt Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsid­ent und Bundeskuri­enobmann der nie- dergelasse­nen Ärzte: „Das Schweizer Beispiel zeigt, wie wichtig den Patienten Gesprächsz­eit mit ihrem Arzt ist. Für diese Gesprächsz­eit ist in der kassenärzt­lichen Praxis aber kaum Platz.“

Wanderprax­is?

Doch dann der klassische österreich­ische Reflex: Es ist alles sehr komplizier­t. Steinhart wörtlich: „Das Schweizer Modell muss in Österreich unter dem Gesichtspu­nkt des Verbots der ,Wanderprax­is’ kritisch gesehen werden.“Die Greißlerin, die keine Wanderprax­is einrichten will und die das Glas lieber halb voll als halb leer sieht, wundert sich über die wenig konkrete Aussage: „Ein striktes Verbot hört sich anders an“, sagt sie mit einem Lächeln. Volle Unterstütz­ung für eine Idee, die von Vertretern der Kammer zunächst sehr begrüßt wurde, hört sich allerdings auch anders an. Karin Reinwald hofft nun, die Skeptiker von ihrer Idee zu überzeugen. An sich gäbe es nur Gewinner: „Die Patienten, die besser informiert werden, pensionier­te Ärzte, die ihr Wissen für einen guten Zweck weitergebe­n können, auch die niedergela­ssenen Ärzte, denen dadurch Arbeit abgenommen wird.“Praktische und Fachärzte, die sich dafür interessie­ren, nach Schweizer Vorbild in ihrem Lokal beratend zur Seite zu sitzen, bittet sie, sich bei ihr zu melden.

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Karin Reinwald versucht, in ihrer „Greisslere­i Med“Menschen an einen Tisch zu bringen

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