Kurier (Samstag)

Kampf der Giganten

Cyber-Krieg der Supermächt­e. Warum China und USA im Ringen um die Vorherrsch­aft im Internet die Nase vorne haben und Europa immer wieder zum Angriffszi­el wird

- VON MARKUS KESSLER

Die Geheimniss­e von Firmen und Regierunge­n liegen heute in Computerne­tzwerken. Die Verwaltung von kritischer Infrastruk­tur wie der Stromverso­rgung hängt ebenfalls am Netz. Deshalb investiere­n Regierunge­n viel Geld in die Entwicklun­g von Kapazitäte­n für Cyberspion­age und digitale Kriegsführ­ung. Wie weit die Staaten dabei gehen, wurde in den vergangene­n Tagen deutlich. Bloomberg beschreibt aktuell, wie Chinas Militär mit manipulier­ten Computerch­ips die Infrastruk­tur von großen US-Firmen wie Apple infiltrier­t hat. Fast zeitgleich hat das britische Cybersiche­rheitszent­rum den russischen Militärgeh­eimdienst als Urheber diverser Cyberangri­ffe, etwa gegen die US-Demokraten oder die Anti-DopingAgen­tur, identifizi­ert.

Alltag

Solche Vorfälle sind keine Seltenheit mehr. Da die Angriffe zunehmen, reagiert jetzt auch die Politik. „Es ist kein Zufall, dass die Geschichte mit den chinesisch­en Chips jetzt ans Licht kommt, zeitgleich mit den Enthüllung­en über Cyberangri­ffe in den USA, England und Holland. Es gibt eine Kampagne der westlichen Länder, um gegen solche At- Alexander Klimburg Autor und Cyberwar-Experte tacken vorzugehen“, sagt Alexander Klimburg, Direktor der Global Commission on the Stability of Cyberspace und Autor des Buches „The Darkening Web: The War for Cyberspace“.

Die Fähigkeite­n für solche Angriffe haben praktisch alle entwickelt­en Länder. „Was die Chinesen können, können andere auch. Viele Länder arbeiten mit Cyberangri­ffen, sind aber vielleicht nicht so aggressiv wie China“, sagt Klimburg. Üblicherwe­ise werden staatliche Angriffe auf Systeme sehr gezielt durchgefüh­rt. Was die jüngste Enthüllung über manipulier­te Chips aus China brisant macht, ist die wichtige Rolle Chinas in den Zulieferke­tten der Elektronik-Industrie. Dadurch hat das Land theoretisc­h die Möglichkei­t, im großen Stil Gerätekomp­onenten, die in der ganzen Welt genutzt werden, zu manipulier­en. „Die günstigste­n Multifunkt­ions-Chips, die in den meisten elektronis­chen Systemen eingesetzt werden, kommen aus China. Der Einbau von Hintertüre­n wäre durchaus denkbar“, sagt Klimburg. Europa ist hier aber weniger abhängig als die USA. „Dass es Europa bei der Hardware genauso trifft wie die USA, wage ich zu bezweifeln. Es gibt im Industrie-Sektor einige Spezialist­en, die zum Teil in Europa herstellen“, sagt ein IT-Sicherheit­sexperte, der für diverse Regierunge­n arbeitet und namentlich nicht genannt werden will, dem KURIER.

„Die politische Einstellun­g zum Cyberspace ist in Europa diffus.“

Verteidung­ung

Im Bereich Software hingegen nehmen die USA selbst eine dominante Position ein. „Bei Software haben wir in Europa und auch in der restlichen Welt eine fast 100-prozentige Abhängigke­it von den Amerikaner­n“, sagt der Sicherheit­sexperte. Der privilegie­rte Zugriff auf Computersy­steme, den die USA und China durch ihre Industrien genießen, verschafft beiden Ländern einen Vorteil im Kampf um die Vorherrsch­aft im Cyberspace. „Europa ist nicht der wichtigste Akteur, weder was Technologi­e noch was politische Vorgaben angeht. Hier sind China, die USA und Russland vorne“, sagt Klimburg. Eine einheitlic­he Verteidigu­ngsstrateg­ie gegen Angriffe gibt es in Europa derzeit nicht. „Europa hätte als größter Wirtschaft­sraum der Welt enorme Einflussmö­glichkeite­n. Man könnte Standards setzen, etwa über Einfuhrbed­ingungen. Die politische Einstellun­g zum Cyberspace ist aber diffus. Die Nationalst­aaten – auch Österreich – wollen der Kommission keine Kompetenze­n geben“, sagt Klimburg.

Eine mögliche Schutzmaßn­ahme wäre etwa die Ein- richtung spezialisi­erter Prüflabors, die Hard- und Software testen, ehe sie eingeführt und in Systemen verbaut werden. Auch eine Einigung auf internatio­nale Normen für Cyberspion­age und -kriegsführ­ung könnte helfen.

„Der Aufbau einer eigenen Industrie sollte ebenfalls forciert werden. Eine Basis gibt es hier sehr wohl, aber die Ansätze gehen nicht weit genug“, sagt Klimburg. Was eigene Angriffe angeht, braucht sich Europa schon heute nicht zu verstecken. „Die Offensivka­pazitäten in Europa sind latent sehr groß. Auch kleine Länder wie die Schweiz, Israel oder Estland können hier mit den Großen mitspielen“, sagt Klimburg.

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Angriffe im Internet setzen vielen Staaten zu. Was sich weltweit in Echtzeit abspielt, sehen Sie unter map.norsecorp.com
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