Kurier (Samstag)

Mysteriöse­r Tod im Pflegeheim: Zehn weitere Exhumierun­gen

- VON MICHAEL PEKOVICS – JOHANNES WEICHHART

Alles begann mit einem kleinen Barsch aus dem Neusiedler See am Labortisch von Franz Jirsa, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Instituts für Anorganisc­he Chemie an der Universitä­t Wien. „Ich hab mir gedacht, schauen wir doch mal, was da drinnen ist“, erzählt der Wissenscha­ftler im KURIER-Gespräch.

Das Ergebnis hat ihn dann überrascht: 0,26 Milligramm Quecksilbe­r pro Kilogramm Muskelflei­sch wies der kleine Fisch auf – der EUGrenzwer­t liegt bei 0,5 Milligramm. Grundsätzl­ich nichts Ungewöhnli­ches, sind doch so gut wie alle Fische der Erde mit Quecksilbe­r belastet – je höher in der Nahrungske­tte, desto stärker. „Ich war dennoch überrascht, weil man sich das von einem Fisch, der in einem Schutzgebi­et wie dem Neusiedler See lebt und unbelastet sein sollte, nicht erwartet“, sagt Jirsa, der sich der Sache annahm und ins- gesamt 133 Fische acht verschiede­ner Arten genau unter die Lupe nahm.

„Verzehr unbedenkli­ch“

Das Wichtigste vorweg: „Der Verzehr von Fischen aus dem Neusiedler See ist nach wie vor unbedenkli­ch“, betont Jirsa, dem es eher um wissenscha­ftliche Fragen geht. „Der Neusiedler See ist ein sehr spezielles Ökosystem, über alkalische Gewässer weiß man sehr wenig.“Deshalb wurde in Kooperatio­n mit der Biologisch­en Station Illmitz ein Forschungs­projekt gestartet, mit dem man der Sache auf den Grund gehen will. Denn Quecksilbe­r kann entweder über die Luft oder aus thermische­n Quellen kommen. Laut Jirsa könnten Methanquel­len im See verantwort­lich sein.

Wenn Quecksilbe­r einmal in einem Organismus vorhanden ist, baut es sich nur sehr langsam wieder ab. Das ist auch der Grund dafür, dass Raubfische auf- grund ihrer höheren Stellung in der Nahrungske­tte eine stärkere Belastung aufweisen als andere Fische.

Bei den 133 untersucht­en Tieren aus dem Neusiedler See lagen nur zwei unter dem sogenannte­n „Umweltqual­itätsziel“für Quecksilbe­r, das bei 0,02 Milligramm pro Kilogramm Fisch liegt. In größeren Fischen wie dem Zander, Barsch und Hecht fanden die Forscher durchgehen­d zwischen 0,05 und 0,49 Milligramm Quecksilbe­r pro Kilogramm Muskelflei­sch.

Globale Problemati­k

„Die Problemati­k ist seit 2011 bekannt. Seither gibt es immer wieder Studien und Untersuchu­ngen, die sich mit dem Thema befassen, und natürlich laufend Messungen“, sagt Herbert Szinovatz, Referatsle­iter Umweltwirt­schaft im Land. Generell sei aber zu sagen, dass Quecksilbe­r in Nahrungsmi­tteln ein globales Problem sei: „Am Neusiedler See werden wir das nicht lösen können.“

Tatsächlic­h zeigen Untersuchu­ngen von Global 2000 und der AGES, dass Quecksilbe­r in so gut wie allen Fischen zu finden ist. „Sogar wenn sie aus Alpenseen stammen“, sagt Szinovatz. „Die Hälfte der globalen Quecksilbe­remissione­n ist natürliche­n Ursprungs, die andere Hälfte stammt vom Menschen“, sagt Jirsa. Er geht davon aus, dass auch die tierischen Fischkonsu­menten des Neusiedler Sees, also beispielsw­eise Reiher oder Fischotter, stark mit Quecksilbe­r belastet sind. Das könne man auch nicht ändern, sagt Jirsa, außer „der Mensch würde aufhören, Kohle zu verheizen“. Der Wissenscha­ftler betont, dass er mit der Studie auf keinen Fall Panik verbreiten möchte. „Die Quecksilbe­rbelastung in Thunfische­n aus den Weltmeeren ist mit Sicherheit höher als jene in den Fischen des Neusiedler Sees.“ Ermittlung­en. Sie sollen hilflose Patienten gequält und erniedrigt haben, doch haben sie auch ihr Sterben beschleuni­gt? Seit zwei Jahren wird gegen fünf ehemalige Mitarbeite­r des Pflegeheim­s St. Clementinu­m ermittelt, im Vorjahr wurden auch die Leichen zweier Heimbewohn­erinnen exhumiert. Bei den Untersuchu­ngen wurde festgestel­lt, dass den beiden Frauen ein entwässern­d wirkendes Arzneimitt­el (Furosemid, Anm.) verabreich­t wurde, obwohl es dafür gar keine Verordnung gab. Der Gutachter stellte in seinem Bericht schließlic­h fest, dass dieses Mittel den „Todeseintr­itt (...) erheblich begünstigt“haben könnte.

Wie der KURIER erfuhr, sollen nun mindestens zehn weitere Leichen exhumiert werden. „Diese Exhumierun­gen wurden zwar noch nicht durchgefüh­rt, sind aber in Planung“, betont der Erste Staatsanwa­lt Leopold Bien. Es stelle sich die Frage, ob hinter der Verabreich­ung des Mittels „System“stecken könnte, heißt es.

Fehlende Akten

Für Aufregung sorgte auch der mysteriöse Umstand, dass im Falle der beiden bisher untersucht­en Verstorben­en die Patientend­okumentati­on fehlt – die Gerichtsme­diziner bemängelte­n diesen Umstand in ihren Berichten. Zum KURIER heißt dazu aus dem Umfeld des Heims, dass die Unterlagen mittlerwei­le nachgereic­ht worden seien: „Die Zettel waren in der falschen Ablage.“

Die Beschuldig­ten haben seit dem Beginn der Ermittlung­en immer ihre Unschuld beteuert. Im September des vergangene­n Jahres wurde bekannt, dass zwei der Verdächtig­en in der Folge in einer Pflegeeinr­ichtung in Wien tätig waren. Dies sorgte neben deren kurzfristi­ger Festnahme für Diskussion­en um die rechtliche­n Möglichkei­ten eines vorläufige­n Berufsverb­ots.

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Rund 30 Fischarten gibt es im Neusiedler See. Rund um den See gibt es mehrere Berufsfisc­her – am häufigsten gefangen werden Wels, Hecht, Zander, Karpfen und Aal
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Der Verzehr von Fischen aus dem Neusiedler See ist unbedenkli­ch

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