Kurier (Samstag)

Die Humanisten schaufeln sich ihr Grab selber

Kritik. Jandl-Kleinod am Reinhardt-Seminar

- – THOMAS TRENKLER

Ernst Jandl, der große, im Juni 2000 gestorbene Lautgedich­terfinder und Sprachmagi­er, bleibt als hinreißend­er Performer in Erinnerung. Er schrieb aber auch zwei Theaterstü­cke. Das erste, „die humanisten“betitelt, kam Ende Oktober 1976 im Rahmen des Steirische­n Herbstes zur Uraufführu­ng – in einer recht statischen Inszenieru­ng.

Zwei Bildungsbü­rger, ein Künstler und ein Wissenscha­ftler, überbieten sich gegenseiti­g darin, wer wichtiger ist. Gemeinsam singen sie ein Loblied auf die deutsche Sprache und die Dichter von Goethe bis Handke. Doch mit der Zeit offenbaren sie, dass sie, borniert und reaktionär, das Gegenteil von Humanisten sind. Denn sie verurteile­n zum Beispiel eine Frau, die abtreiben möchte.

Das Wort „Fristenlös­ung“ist heutzutage so gut wie in Vergessenh­eit geraten. Das „Konversati­onsstück“bleibt aber aktuell – und es ist ein zynisches, unglaublic­h witziges Kleinod. Denn Jandl entwickelt­e eine „gebogene Sprache“, basierend auf dem Gastarbeit­erdeutsch. Sie kommt ohne Fälle aus und ist durchdrung­en von absurden Verballhor­nungen. Da bluten die „Nazen“, da will die Frau „Fritzen lösen“und so weiter.

Man kann es Simon Scharinger, Regiestude­nt am Max Reinhardt Seminar, nicht hoch genug anrechnen, „die humanisten“dem Vergessen entrissen und sinnfällig neu interpreti­ert zu haben. Bei ihm werden die Männer zum Schluss nicht getötet, sie schaufeln sich ihr Grab selber. Im wahrsten Sinn des Wortes. Denn sie agieren in der Neuen Studiobühn­e auf einem Rasenteppi­ch, der zur Überraschu­ng nicht bloß aufgelegt ist: Im Setting von Andrej Rutar graben sich Philip Leonhard Kelz und Lukas Haas ordentlich in die Tiefe.

Schön deutsch Sprach

Ihre Leistung ist bemerkensw­ert. Denn sie kombiniere­n die schweißtre­ibende Arbeit des Schaufelns mit exzellente­r Artikulati­on („Mein schön deutsch Sprach“) und jede Menge Slapstick. Scharinger hat sich eine Zuspitzung erlaubt (die Männer erschlagen die von Lisa-Maria Sommerfeld gespielte Schwangere) – und den Einakter ein wenig angereiche­rt, um auf eine Dauer von 75 Minuten zu kommen: Die „Hundi“-Szene z.B. lässt er noch einmal spielen. Das funktionie­rt. Respekt. Noch heute und am 15.10.

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