Die Humanisten schaufeln sich ihr Grab selber
Kritik. Jandl-Kleinod am Reinhardt-Seminar
Ernst Jandl, der große, im Juni 2000 gestorbene Lautgedichterfinder und Sprachmagier, bleibt als hinreißender Performer in Erinnerung. Er schrieb aber auch zwei Theaterstücke. Das erste, „die humanisten“betitelt, kam Ende Oktober 1976 im Rahmen des Steirischen Herbstes zur Uraufführung – in einer recht statischen Inszenierung.
Zwei Bildungsbürger, ein Künstler und ein Wissenschaftler, überbieten sich gegenseitig darin, wer wichtiger ist. Gemeinsam singen sie ein Loblied auf die deutsche Sprache und die Dichter von Goethe bis Handke. Doch mit der Zeit offenbaren sie, dass sie, borniert und reaktionär, das Gegenteil von Humanisten sind. Denn sie verurteilen zum Beispiel eine Frau, die abtreiben möchte.
Das Wort „Fristenlösung“ist heutzutage so gut wie in Vergessenheit geraten. Das „Konversationsstück“bleibt aber aktuell – und es ist ein zynisches, unglaublich witziges Kleinod. Denn Jandl entwickelte eine „gebogene Sprache“, basierend auf dem Gastarbeiterdeutsch. Sie kommt ohne Fälle aus und ist durchdrungen von absurden Verballhornungen. Da bluten die „Nazen“, da will die Frau „Fritzen lösen“und so weiter.
Man kann es Simon Scharinger, Regiestudent am Max Reinhardt Seminar, nicht hoch genug anrechnen, „die humanisten“dem Vergessen entrissen und sinnfällig neu interpretiert zu haben. Bei ihm werden die Männer zum Schluss nicht getötet, sie schaufeln sich ihr Grab selber. Im wahrsten Sinn des Wortes. Denn sie agieren in der Neuen Studiobühne auf einem Rasenteppich, der zur Überraschung nicht bloß aufgelegt ist: Im Setting von Andrej Rutar graben sich Philip Leonhard Kelz und Lukas Haas ordentlich in die Tiefe.
Schön deutsch Sprach
Ihre Leistung ist bemerkenswert. Denn sie kombinieren die schweißtreibende Arbeit des Schaufelns mit exzellenter Artikulation („Mein schön deutsch Sprach“) und jede Menge Slapstick. Scharinger hat sich eine Zuspitzung erlaubt (die Männer erschlagen die von Lisa-Maria Sommerfeld gespielte Schwangere) – und den Einakter ein wenig angereichert, um auf eine Dauer von 75 Minuten zu kommen: Die „Hundi“-Szene z.B. lässt er noch einmal spielen. Das funktioniert. Respekt. Noch heute und am 15.10.