RSO Wien: Ein furioser Saisonauftakt mit drei Virtuosen
„Wenn man seinen Unsicherheiten einen Namen gibt, sich vorstellt, sie würden einem an einem Tisch gegenübersitzen, dass man sich damit konfrontieren kann, kann man die Unsicherheiten nicht nur besser verstehen, sondern leichter herausfinden, mit welchen Handlungen und Gewohnheiten man dafür kompensiert.“
Tyler Joseph, Sänger und Songwriter von Twenty One Pilots, leidet seit seiner Teenagerzeit an Depressionen und Angststörungen. Schon immer hat er den Kampf mit diesen Dämonen in den Songs des Duos verarbeitet. Aber erst beim vierten Album gab er ihnen einen Namen, nannte sie – genau wie das Album – „Blurryface“. Mit diesem mehr als 1,5-Millionen-mal verkauften Werk stiegen er und sein Partner, Drummer Josh Dun, von Alternative-Helden in den Mainstream auf.
Aber nicht deshalb versetzt Joseph Blurryface für das eben erschienene Album „Trench“in eine ausgeklügelte Fantasiewelt, in der viele neue Charaktere auftauchen. Musikalisch ist das Album ein breit gefächerter Stilmix aus Hip-Hop-Rock, Pop, Funk und Disco, thematisch aber ein Konzeptalbum.
Ausbrechen
„Ich wollte mit diesen Songs tiefer in Blurryface eintauchen“, erklärt Joseph im Interview mit dem KURIER. „Ich wollte herausfinden, welche Art Kontrolle er wann und wie ausübt. Dabei erwachte diese Welt, die ich Trench genannt habe, zum Leben. Die Story ist folgende: Am untersten EndevonTrenchist die Festungsstadt Dema, in der ich mich befinde. Sie wird von neun Bischöfen regiert, von denen Blurryface einer ist. Ich will aus dieser Welt ausbrechen. Das gelingt, aber in Trench ist alles ein bisschen furchteinflößend, wild, unberechenbar und unerforscht. Ich weiß, dass es richtig und wichtig ist, in Trench zu sein. Aber gleichzeitig fühle ich mich da verloren, weiß nicht, wohin ich soll.“
So handelt „Trench“von dem weiterlaufenden Kampf Josephs gegen seine seelischen Nöte, die ihn als Teenager sogar dazu brachten, sich selbst zu verletzen. Es gab Vorfälle, die diese Entwicklung begünstigt hätten, sagt er. Was genau das war, verrät er nicht. Nur, dass es das Klavierspielen war, das er sich als 17-Jähriger selbst beibrachte, das ihm da wieder raus geholfen hat.
Aber, das gibt er gerne zu, er muss sich auch heute immer noch täglich neu gegen die Übermacht dieser „Unsicherheiten“stemmen. „Ich habe herausgefunden, dass es Gebiete in meinem Verstand gibt, die komplett von diesen Unsicherheiten regiert werden. Wenn ich mich davon fernhalte, bin ich freier, aber es macht mir auch ein bisschen Angst. Und so leicht entkommt man dem ohnehin nicht. Deshalb war es mir wichtig, dass auch die Story in ‚Trench‘ eine zyklische Dimension hat: Blurryface jagt mir in Trench nach, um mich zurück nach Dema zu bringen. Und so ist das auch mit den Unsicherheiten: Man denkt, wow, jetzt habe ich es überwunden, ich weiß, wie ich es handhaben kann. Und plötzlich ist alles mit derselben Macht wieder zurück, und man muss von vorne beginnen. Das fühlt sich an, als hätte man seine Zeit total verschwendet – was aber nicht stimmt. Wenn man akzeptiert, dass es Zeiten geben wird, wo man wieder von vorne beginnen muss, ist das sehr hilfreich dabei, mit solchen Problemen umzugehen.“
Verzweifelt
Das Album endet mit „Leave The City“, einer verzweifelten, mystischen Ballade, in der der Hauptcharakter der Story resigniert und aufgibt. Das ist aber nicht repräsentativ für Josephs Zustand. Das offene Ende ist ein künstlerischer Kniff, denn auch das nächste Twenty-One-PilotsAlbum soll die Welt von „Trench“weiterführen. Ein Happy End wollte Joseph der Story aber auch deshalb nicht geben, weil „ich selbst noch nicht so weit bin“.
Die Liveshow, die die beiden am 17. 2. 2019 auch in der Wiener Stadthalle zeigen, soll die „Trench“-Welt auch optisch zum Leben erwecken. Schließlich haben er und Dun ein Jahr intensivst und völlig zurückgezogen daran gearbeitet, sie zu entwickeln. Und das unter starkem Druck.
„Nach dem Durchbruch mit ‚Blurryface‘ hätten wir mit den besten Songwritern und Produzenten der Welt zusammenarbeiten können“, erklärt Joseph. „Unsere Plattenfirma wollte das anfangs auch. Aber wir sagten, nein, wir wollen das alleine in meinem neuen Studio im Keller meines Hauses machen. Irgendwann sagten die LabelLeute, okay, macht das, wir vertrauen euch. Aber dann kam der Druck: Jetzt gibt es keine Ausrede mehr! Ich habe perfektes Equipment, was ich vorher nie hatte. Ich kann mich auf niemanden verlassen, außer auf mich selbst. Ich wusste: Wie gut diese Platte ankommt, hängt einzig und allein davon ab, was ich bieten und leisten kann.“ Kritik. Für sein Saisoneröffnungskonzert im Wiener Musikverein hat das OrF RadioSymphonieorchester einen der vielversprechendsten jungen Dirigenten gewählt: Lorenzo Viotti.
Da Marin Alsop, die Nachfolgerin von Cornelius Meister, der das Orchester acht Jahre lang exzellent prägte, ihr Amt erst 2019 antritt, gilt es, diese Zeit mit spannenden Persönlichkeiten zu überbrücken. Mit dem Sohn des Schweizer Dirigenten Marcello Viotti gelang die erste Runde glanzvoll.
Genialer Rhythmiker
Am Pult des RSO wurde der 28-Jährige seinem Ruf gerecht, den er sich seit seinem Sieg beim Young Conductors Award in Salzburg 2015 kontinuierlich aufbaut. Bei Sergej Prokofjews Suite „Die Liebe zu den drei Orangen“überzeugte der studierte Schlagzeuger, der in dieser Saison seinen ersten Chefdirigentenposten beim Orquestra Gulbenkian in Lissabon antritt, als genialer Rhythmiker. Messerscharf saß jeder Takt. Rasant, brillant hob er den ersten Teil an. Jede Nuance dieser Märchenvertonung erarbeitete er präzise, dämonische Wucht und brillanter Zauber wurden deutlich hörbar.
Ein furioses VirtuosenTrio formierte er mit den Pianistinnen Khatia und Gvantsa Buniatishvili beim Konzert für zwei Klaviere und Orchester in d-Moll von Francis Poulenc. Seine kongeniale Art der Orchesterführung paarte sich mit dem ausgelassenen Vortrag der Schwestern, der beim filigranen Larghetto eine besondere Magie entfaltete.
Erich Wolfgang Korngolds Jugendwerk, die Sinfonietta für großes Orchester, op. 5, inszenierte Viotti wie große Filmmusik, ließ die Blechbläser brillieren und lud in den langsamen Passagen zum Schwelgen ein.
Lang anhaltender Applaus.