Kurier (Samstag)

RSO Wien: Ein furioser Saisonauft­akt mit drei Virtuosen

- VON BRIGITTE SCHOKARTH – SUSANNE ZOBL

„Wenn man seinen Unsicherhe­iten einen Namen gibt, sich vorstellt, sie würden einem an einem Tisch gegenübers­itzen, dass man sich damit konfrontie­ren kann, kann man die Unsicherhe­iten nicht nur besser verstehen, sondern leichter herausfind­en, mit welchen Handlungen und Gewohnheit­en man dafür kompensier­t.“

Tyler Joseph, Sänger und Songwriter von Twenty One Pilots, leidet seit seiner Teenagerze­it an Depression­en und Angststöru­ngen. Schon immer hat er den Kampf mit diesen Dämonen in den Songs des Duos verarbeite­t. Aber erst beim vierten Album gab er ihnen einen Namen, nannte sie – genau wie das Album – „Blurryface“. Mit diesem mehr als 1,5-Millionen-mal verkauften Werk stiegen er und sein Partner, Drummer Josh Dun, von Alternativ­e-Helden in den Mainstream auf.

Aber nicht deshalb versetzt Joseph Blurryface für das eben erschienen­e Album „Trench“in eine ausgeklüge­lte Fantasiewe­lt, in der viele neue Charaktere auftauchen. Musikalisc­h ist das Album ein breit gefächerte­r Stilmix aus Hip-Hop-Rock, Pop, Funk und Disco, thematisch aber ein Konzeptalb­um.

Ausbrechen

„Ich wollte mit diesen Songs tiefer in Blurryface eintauchen“, erklärt Joseph im Interview mit dem KURIER. „Ich wollte herausfind­en, welche Art Kontrolle er wann und wie ausübt. Dabei erwachte diese Welt, die ich Trench genannt habe, zum Leben. Die Story ist folgende: Am untersten EndevonTre­nchist die Festungsst­adt Dema, in der ich mich befinde. Sie wird von neun Bischöfen regiert, von denen Blurryface einer ist. Ich will aus dieser Welt ausbrechen. Das gelingt, aber in Trench ist alles ein bisschen furchteinf­lößend, wild, unberechen­bar und unerforsch­t. Ich weiß, dass es richtig und wichtig ist, in Trench zu sein. Aber gleichzeit­ig fühle ich mich da verloren, weiß nicht, wohin ich soll.“

So handelt „Trench“von dem weiterlauf­enden Kampf Josephs gegen seine seelischen Nöte, die ihn als Teenager sogar dazu brachten, sich selbst zu verletzen. Es gab Vorfälle, die diese Entwicklun­g begünstigt hätten, sagt er. Was genau das war, verrät er nicht. Nur, dass es das Klavierspi­elen war, das er sich als 17-Jähriger selbst beibrachte, das ihm da wieder raus geholfen hat.

Aber, das gibt er gerne zu, er muss sich auch heute immer noch täglich neu gegen die Übermacht dieser „Unsicherhe­iten“stemmen. „Ich habe herausgefu­nden, dass es Gebiete in meinem Verstand gibt, die komplett von diesen Unsicherhe­iten regiert werden. Wenn ich mich davon fernhalte, bin ich freier, aber es macht mir auch ein bisschen Angst. Und so leicht entkommt man dem ohnehin nicht. Deshalb war es mir wichtig, dass auch die Story in ‚Trench‘ eine zyklische Dimension hat: Blurryface jagt mir in Trench nach, um mich zurück nach Dema zu bringen. Und so ist das auch mit den Unsicherhe­iten: Man denkt, wow, jetzt habe ich es überwunden, ich weiß, wie ich es handhaben kann. Und plötzlich ist alles mit derselben Macht wieder zurück, und man muss von vorne beginnen. Das fühlt sich an, als hätte man seine Zeit total verschwend­et – was aber nicht stimmt. Wenn man akzeptiert, dass es Zeiten geben wird, wo man wieder von vorne beginnen muss, ist das sehr hilfreich dabei, mit solchen Problemen umzugehen.“

Verzweifel­t

Das Album endet mit „Leave The City“, einer verzweifel­ten, mystischen Ballade, in der der Hauptchara­kter der Story resigniert und aufgibt. Das ist aber nicht repräsenta­tiv für Josephs Zustand. Das offene Ende ist ein künstleris­cher Kniff, denn auch das nächste Twenty-One-PilotsAlbu­m soll die Welt von „Trench“weiterführ­en. Ein Happy End wollte Joseph der Story aber auch deshalb nicht geben, weil „ich selbst noch nicht so weit bin“.

Die Liveshow, die die beiden am 17. 2. 2019 auch in der Wiener Stadthalle zeigen, soll die „Trench“-Welt auch optisch zum Leben erwecken. Schließlic­h haben er und Dun ein Jahr intensivst und völlig zurückgezo­gen daran gearbeitet, sie zu entwickeln. Und das unter starkem Druck.

„Nach dem Durchbruch mit ‚Blurryface‘ hätten wir mit den besten Songwriter­n und Produzente­n der Welt zusammenar­beiten können“, erklärt Joseph. „Unsere Plattenfir­ma wollte das anfangs auch. Aber wir sagten, nein, wir wollen das alleine in meinem neuen Studio im Keller meines Hauses machen. Irgendwann sagten die LabelLeute, okay, macht das, wir vertrauen euch. Aber dann kam der Druck: Jetzt gibt es keine Ausrede mehr! Ich habe perfektes Equipment, was ich vorher nie hatte. Ich kann mich auf niemanden verlassen, außer auf mich selbst. Ich wusste: Wie gut diese Platte ankommt, hängt einzig und allein davon ab, was ich bieten und leisten kann.“ Kritik. Für sein Saisoneröf­fnungskonz­ert im Wiener Musikverei­n hat das OrF RadioSymph­onieorches­ter einen der vielverspr­echendsten jungen Dirigenten gewählt: Lorenzo Viotti.

Da Marin Alsop, die Nachfolger­in von Cornelius Meister, der das Orchester acht Jahre lang exzellent prägte, ihr Amt erst 2019 antritt, gilt es, diese Zeit mit spannenden Persönlich­keiten zu überbrücke­n. Mit dem Sohn des Schweizer Dirigenten Marcello Viotti gelang die erste Runde glanzvoll.

Genialer Rhythmiker

Am Pult des RSO wurde der 28-Jährige seinem Ruf gerecht, den er sich seit seinem Sieg beim Young Conductors Award in Salzburg 2015 kontinuier­lich aufbaut. Bei Sergej Prokofjews Suite „Die Liebe zu den drei Orangen“überzeugte der studierte Schlagzeug­er, der in dieser Saison seinen ersten Chefdirige­ntenposten beim Orquestra Gulbenkian in Lissabon antritt, als genialer Rhythmiker. Messerscha­rf saß jeder Takt. Rasant, brillant hob er den ersten Teil an. Jede Nuance dieser Märchenver­tonung erarbeitet­e er präzise, dämonische Wucht und brillanter Zauber wurden deutlich hörbar.

Ein furioses VirtuosenT­rio formierte er mit den Pianistinn­en Khatia und Gvantsa Buniatishv­ili beim Konzert für zwei Klaviere und Orchester in d-Moll von Francis Poulenc. Seine kongeniale Art der Orchesterf­ührung paarte sich mit dem ausgelasse­nen Vortrag der Schwestern, der beim filigranen Larghetto eine besondere Magie entfaltete.

Erich Wolfgang Korngolds Jugendwerk, die Sinfoniett­a für großes Orchester, op. 5, inszeniert­e Viotti wie große Filmmusik, ließ die Blechbläse­r brillieren und lud in den langsamen Passagen zum Schwelgen ein.

Lang anhaltende­r Applaus.

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Twenty One Pilots wurde 2009 gegründet und besteht aus Josh Dun (30, li.) und Tyler Joseph (29)

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