Kurier (Samstag)

Saudi-Arabiens zwei Gesichter

Fall Khashoggi zeigt, wie repressiv Riad trotz aller Reformen blieb

- VON IRENE THIERJUNG

Mordverdac­ht erhärtet. Wie die Washington Post berichtet, sollen Video- und Tonaufnahm­en belegen, dass der verscholle­ne saudische Regimekrit­iker Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul gefoltert und ermordet wurde. Der Druck auf Riad steigt. Das dortige Herrscherh­aus rund um Kronprinz und De-factoRegen­t Mohammed bin Salman dementiert zwar weiter, etwas mit dem Verschwind­en Khashoggis am 2. Oktober zu tun zu haben – der Fall wirft dennoch ein klares Schlaglich­t auf Repression­en und Menschenre­chtsverlet­zungen, die es trotz der jüngsten Reformen in Wirtschaft und Gesellscha­ft weiter in SaudiArabi­en gibt.

PR-Kampagnen

Seit Monaten präsentier­t Mohammed bin Salman sein Land erfolgreic­h als weltoffen und liberal. Er bedient sich dabei der Dienste erfah- rener PR-Agenturen, vor allem aus den USA. Bilder autofahren­der Frauen, von Konzerten, Sportveran­staltungen und Kinoeröffn­ungen prägten zuletzt die öffentlich­e Wahrnehmun­g in der Welt. Dem gegenüber stehen Berichte über Verhaftung­en von Frauenrech­tlerinnen oder Regierungs­kritikern. Laut Experten geht Saudi-Arabien zunehmend hart gegen Dissidente­n und Aktivisten vor.

Gefoltert, ermordet, zerstückel­t – stimmen die Anschuldig­ungen, die anonyme Zeugen gegen Saudi-Arabien erheben, ist der vor elf Tagen bei einem Besuch des saudischen Konsulats in Istanbul verschwund­ene Regimekrit­iker Jamal Khashoggi tot (siehe Bericht rechts). Den Beteuerung­en aus Riad, nichts mit seinem Verschwind­en zu tun zu haben, dürften angesichts der drastische­n Schilderun­gen noch weniger Beobachter Glauben schenken.

Für Prinz Mohammed bin Salman, den saudischen De-facto-Herrscher, ist das ein Desaster – hat er es doch in den vergangene­n Monaten dank teurer PR-Kampagnen geschafft, seinem Land einen liberalere­n Anstrich zu verpassen.

„Vision 2030“

Seit er im Vorjahr von seinem greisen Vater, König Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud, zum Nachfolger ernannt wurde, hat der 32-Jährige das Sagen. Er plant, Saudi-Arabien durch die Erschließu­ng neuer Einnahmequ­ellen unabhängig­er vom Erdöl zu machen und die Herrschaft seiner Familie durch Zugeständn­isse an die großteils junge Bevölkerun­g abzusicher­n (70 Prozent der 34 Mio. Einwohner sind unter 30 Jahre alt). Seine ambitionie­rten Pläne goss er in die sogenannte „Vision 2030“. Und sorgte mithilfe internatio­naler PRFirmen, u. a. in den USA und Großbritan­nien, dafür, dass auch alle Welt davon erfuhr.

Laufend gab es heuer erbauliche Berichte über Kinoeröffn­ungen, Musikkonze­rte oder Comic-Messen im streng islamische­n Saudi-Arabien, untermalt von Fotos der ersten autofahren­den oder öffentlich Sport treibenden Frauen. In Interviews präsentier­te sich der Prinz als Liberaler, berichtete von Treffen mit US-Präsident Trump oder AmazonGrün­der Jeff Bezos, demBesitze­r der Washington Post, und ließ sogar mit israel-freundlich­en Tönen aufhorchen.

Die Affäre rund um Khashoggi sorgt nun dafür, dass auch die andere, weiterhin „dunkle“Seite der Monarchie wieder beleuchtet wird: Repression und Verfolgung von Menschenre­chtlern, Dissidente­n und anderen kritischen Geistern.

Verhaftung­swellen

„Der Vorfall in der Türkei schließt an eine bis dahin beispiello­se Kampagne gegen friedliche Dissidente­n an, die seit Mitte 2017 an Fahrt aufgenomme­n hat und in deren Folge Khashoggi sich entschloss, ins Exil in die USA zu ziehen“, fasst der renommiert­e deutsche Nahost-Experte Guido Steinberg die Lage zusammen.

Ende 2017 ließ bin Salman Dutzende Prinzen wegen angebliche­r Korruption in ein Luxushotel sperren und entledigte sich damit mehrerer Widersache­r. Wenige Wochen, bevor im Juni das Fahrverbot für Frauen fiel, wurden heuer mehrere Frauenrech­tsaktivist­innen verhaftet, laut Washington Post wurde eine davon aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten verschlepp­t. Später führte die Verhaftung zweier Menschenre­chtlerinne­n zu einem handfesten Streit mit Kanada, weil dessen Außenminis­terium die Festnahmen kritisiert hatte. Raif Badawi, der 2013 zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenh­ieben verurteilt­e Blogger, sitzt nach wie vor in Haft.

Gefährlich­e Kontakte

Die meisten Dissidente­n würden die Reformbest­rebungen sogar unterstütz­en, sagt Steinberg, kritisiert­en aber die zunehmende Unterdrück­ung. Einer dieser Dissidente­n sei Khashoggi gewesen, dem seine Kontakte zur im Königshaus verhassten Muslimbrud­erschaft und zu Gegnern bin Salmans in der Herrscherf­amilie zum Verhängnis geworden sein könnten.

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Als gut gelaunter Modernisie­rer präsentier­t sich Kronprinz und De-facto-Herrscher bin Salman der Welt. PR-Agenturen helfen dabei
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Gut fürs Image: Die saudische Rennfahrer­in Al-Hamad in Europa
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Blut an den Händen: Demo gegen bin Salman in Washington

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