Lothar de Maizière, CDU-Politiker
Deutschland. Lothar de Maizière, Miterfinder der deutschen Einheit, über die CSU, die Kanzlerin und die Baustellen der EU.
Der erste gewählte und letzte Ministerpräsident der DDR spricht im Interview über Seehofers „Amoklauf“und Merkels Zähheit.
Lothar de Maizière war der einzige demokratisch gewählte und letzte Ministerpräsident der DDR. Der 78jährige ostdeutsche CDU-Politiker gilt als Miterfinder von Angela Merkel. De Maizière war Festredner bei der Feier zum Tag der deutschen Einheit im Donauforum der Oberbank in Linz. KURIER: Bayern und Hessen wählen am Sonntag. Umfragen signalisieren sowohl für die CDU/CSU als auch für die SPD Verluste. Ist daran die Performance der Koalition in Berlin schuld? Lothar de Maizière: Die Bayern haben durch den Machtkampf zwischen (CSU-Chef Horst) Seehofer und (dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus) Söder kein gutes Bild abgegeben. Es herrscht in Deutschland eine ziemliche Politikverdrossenheit, weil die Menschen das Gefühl haben, die Politiker beschäftigen sich nur mit sich selbst und nicht mit den Dingen, die wirklich wichtig sind. Das Positive geht dabei unter. Kanzlerin Angela Merkel macht auch einen etwas müden Eindruck. Ich hätte es für gut befunden, wennsie nicht noch einmal kandidiert hätte. Nun wird sie es durchstehen müssen. Wie lange wird es die Koalition geben?
Ich glaube, die werden sich alle an ihren Ministerstühlen festhalten. Ministersessel sind bequemer als Oppositionsbänke. Und Merkel ist zäh wie Sohlenleder. Sie lässt sich nicht abschieben. Sie wird die Legislaturperiode zu Ende machen. Wie beurteilen Sie die Performance des Innenministers und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer?
Ich begreife nicht, was er zur Zeit macht. Er verhält sich wie ein Amokläufer. Am besten wäre es, wenn er am Sonntag sagt, es ist genug, ich höre auf. Was sind die Gründe für die starke Zunahme der AfD? In manchen Regionen ist sie schon stärker als die SPD. Ist es die Migrationsthematik?
Die Migrationsfrage beschäftigt ganz Europa. Sie ist letzten Endes eine Frage der sozialen Situation am afrikanischen Kontinent. Die AfD hat sich dieses Themas bemächtigt. Ich glaube aber, dass die Beteuerungen aller Parteien halten, nicht mit ihr zu koalieren. Das gilt momentan. Aber wie sieht es in einigen Jahren aus?
So wie sich die AfD äußert, gehört es zur politischen Hygiene, nicht mit ihr zu koalieren. Es wird immer gesagt, es wären die Ostdeutschen, die der AfD zulaufen. Aber die Stichwortgeber Alexander Gauland, Alice Weigel, Beatrix von Storch sind alle Westdeutsche. Gibt es – sichtbar durch die Stärke der AfD und der Partei Die Linke – nicht immer noch Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?
Es gibt Unterschiede sowohl im Wahlverhalten als auch bei der Beteiligung. Die Wahlbeteiligung ist bei der Bundestagswahl schlecht, weil die Menschen nicht wissen, wo- hin sie sich orientieren sollen. Die Grünen sind auch im Osten im Aufschwung, weshalb denkbar wäre, dass Schwarz-Grün rauskommt. Das wäre nicht unangenehm. Gibt es nach wie vor Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West?
Es gibt Unterschiede, die ihre Ursache zum Teil in sozialen Fragen haben. Ostdeutsche bekommennach wie vor nur 80 Prozent des Lohns eines Westdeutschen. Nach 30 Jahren Wiedervereinigung ist das schwer vermittelbar. Die Ostdeutschen fühlen sich abgehängt. Sie sagen: Wir haben eine friedliche Revolution und die Wiedervereinigung ermöglicht, und wir werden am Rande behandelt. In der Regierung ist außer Merkel kein Ostdeutscher. Die EU steckt auch in der Krise. Der Brexit beherrscht die Tagesordnung.
Europa hat bereits einige Krisen überstanden – wie die Euro-Krise. Ich glaube, dass die Europa-Idee so stark ist, dass die EU nicht daran zerbrechen wird. Was sollte der nächste Integrationsschritt der EU sein?
Es gibt immer noch Anwärter, die in die EU kommen wollen wie Serbien, Albanien, Kosovo, Mazedonien. Wir haben bei Rumänien und Bulgarien gesehen, wie schwierig das war. Es ist die Frage, wie man zu einem Verteilungsmodus der EU-Gelder kommt, der als gerecht und richtig angesehen wird. Und wie man die europäischen Normen einhält.