Kurier (Samstag)

Bizarre Realität – simuliert und gelebt

Interview. Muse sprechen über skurrile Tourerlebn­isse, den Verlust des Album-Formates und die einzige Band-Krise

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Ist alles, was wir als real ansehen, doch nur vom Computer generiert? Sind wir Menschen eine Simulation von künstliche­r Intelligen­z?

Matt Bellamy, Sänger, Gitarrist und Textautor von Muse, liebt solche Fragen – samt den daraus entstehend­en Verschwöru­ngstheorie­n.

Speziell, wenn sie nicht von Scifi-Filmen, sondern von Wissenscha­ftern oder Denkern aufgestell­t werden. Immer wieder hat er Bücher und Ideen zu derartigen Themen als Basis für Songs oder Konzepte ganzer Alben seines Trios hergenomme­n.

Beim Freitag erscheinen­den achten Muse-Album „Simulation Theory“ist es die „Simulation­shypothese“des Philosophe­n Nick Bostrom. Der Schwede kommt dabei zum Schluss, dass es zumindest eine Möglichkei­t ist, dass unsere Zivilisati­on nur eine Simulation ist.

Auch wenn Bellamy überzeugt ist, dass „ auch alle spirituell­en Religionen besagen, dass wir nicht in der Realität leben“– Drummer Dominic Howard sieht dieses ÜberThema beim KURIER-Gespräch nur als „eine Art Schirm für die Themen und die Sound-Ästhetik“des Albums. Und Bassist Chris Wolstenhol­me erklärt im Interview, wieso „Simulation Theory“ein Muse-Album ist, das trotzdem doch kein Konzept hat.

KURIER: Warum haben Sie dieses Album in vielen kleinen Portionen zwischen TourneeAbs­chnitten aufgenomme­n? Chris Wolstenhol­me:

Als wir mit dem vorigen Album „Drones“auf Tour gingen, wurde es für uns zum ersten Mal ganz klar, dass sich das HörerVerha­lten total geändert hat. Bis dahin war es für uns immer noch so, dass ein Teil unseres Publikums das ganze Album hörte, und sich andere nur die wichtigste­n Tracks rauspickte­n. Bei den Konzerten der „Drones“Tour hatte sich das aber geändert. Selbst sechs Monate nach Tourstart und AlbumVeröf­fentlichun­g kamen keine Reaktionen vom Publikum, wenn wir Album-Tracks spielten. Sie kannten nur die Songs, die in den StreamingD­iensten als erstes auftauchen, weil sie Singles oder schon vorab draußen waren.

Ihr Resümee daraus?

Wir wollten deshalb zuerst gar kein Album mehr machen. Das hat keinen Sinn mehr, wenn die Leute wegen der Streaming-Dienste nur mehr die wichtigste­n Tracks daraus hören. Ich spreche ja auch mit meinem Kindern über die Art, wie sie Musik hören. Und sie haben zwar auch ihre Lieblingsb­ands, aber selbst von denen hören sie nur die Songs, die Spotify oder Deezer ganz oben anzeigen. Also dachten wir, wir haben zwei Jahre, in denen wir ein wenig auf Tour sind, aber mit vielen Pausen. Also lass uns in den Pausen ins Studio gehen. Und wenn wir die Songs mögen, veröffentl­ichen wie sie sofort. Wir haben nicht gezielt auf ein Album hingearbei­tet.

Muse ist eine der letzten großen Bands, die das Album-Konzept hochgehalt­en haben. Empfinden Sie es als Beeinträch­tigung Ihrer kreativen Möglichkei­ten, wenn es wegfällt?

Man muss da mit der Zeit gehen. Und ehrlich gesagt, war es für uns gar nicht so schlecht, sich immer nur auf einzelne Songs zu konzentrie­ren. Ich habe es als kreative Befreiung empfunden, dass nicht alles in ein Konzept passen musste. Die Texte, die Matt schreibt, sind ohnehin offen für Interpreta­tionen. Einen Song wie „Something Human“kann man als Sehnsucht nach etwas Menschlich­em in einer technisier­ten Welt deuten, was in ein etwaiges Konzept von „Simulation Theroy“passen würde. Aber auch als die Sehnsucht von jemandem, der sehr lange weg war und nach Hause zu seiner Familie will – was der eigentlich­e Ursprung war, denn Matt hat diesen Song sofort nach dem Ende der „Drones“Tour geschriebe­n. Musikalisc­h sind Muse mit „Simulation Theory“aufgrund der Konzentrat­ion auf einzelne Songs stilistisc­h etwas breiter geworden. Anklänge an die Sounds der 80er-Jahre mischen sich ein. „Get Up And Fight“hat Dance-Flair und Gast-Produzent Timbaland sorgt hier und da für eine Prise R&B-Feeling. „Weil die Welt das jetzt braucht“klingt das Album so viel positivere­r und lockerer als das düster, rockige „Drones“. Für Drummer Dominic Howard hatte es noch einen anderen Vorteil, die Studioarbe­it, mit Live-Auftritten abzuwechse­ln.

Matt sagte, dass der Song „Something Human“auch davon handelt, wie das Tourleben alle schlechten Seiten in Ihnen hervorbrin­gt. Welche schlechten Seiten meint er? Doninic Howard:

Damit meint er nur, dass man auf Tour in so einer bizarren Realität lebt undsich fühlt wie in „Groundhog Day“ schon gespielt hatten. Immer das selbe Set im selben Gebäude – da verschwimm­en die Eindrücke. Das war eben auch der Vorteil der neuen Arbeitswei­se: Wenn du ein wenig auf Tour bist und ein wenig im Studio, wirst du keines der beiden überdrüssi­g. Das hat uns geholfen, als Band verbunden zu bleiben.

Wie meinen Sie das?

Wenn man so lange auf Tour ist, wie wir es mit „Drones“waren, macht man danach normalerwe­ise eine sehr lange Pause, in der jeder ganz andere Sachen macht, bei der Familie ist. Wenn man dann wieder im Studio zusammenko­mmt, muss man sich erst wieder neu auf die Band und die anderen einstellen.

Muse ist aber eine der wenigen Rock-Bands, bei der man nie von Streitigke­iten gehört hat ...

Das stimmt, wir haben uns nie geprügelt, wie Police oder The Who und all die anderen Bands, die es übertriebe­n haben. Ich denke, das liegt daran, dass wir uns schon kennen, seitdem wir zwölf Jahre alt waren – lange bevor wir die Band hatten. Wir wissen voneinande­r genau, wer wir sind und wie wir waren, bevor all der Ruhm und Bandrummel dazukam. Und diese Verbindung aus der Zeit als Schulfreun­de hält uns am Boden und zusammen – egal welche schwierige­n Zeiten wir als Band haben mögen.

Was waren denn die schwierigs­ten Zeiten?

Das war beim zweiten Album. Da haben wir ernsthaft diskutiert, ob wir uns auflö- sen sollen. Da waren wir nahe am Split.

Warum gerade damals?

Nach dem ersten Album fühlte sich keiner von uns mehr wohl in der Band. Da war der Druck der ersten großenTour, mit der wir in die Öffentlich­keit katapultie­rt wurden. Wir waren damals auch noch eine ganz andere Band ... auf der Bühne total introverti­ert und, na ja, langweilig. Da musste sich etwas ändern. Deshalb haben wir dann mit „Origin Of Symmetry“die Rollen dieser leicht verrückten Typen angenommen und auch ein härteren Sound entwickelt.

Interessan­t, dass der Split-Gedanke nach dem ersten Erfolg kam und nicht in den fünf Jahren davor, in denen Sie ohne Erfolg durch die Provinz tingelten.

Da waren wir Kinder, die eine gemeinsame Vision hatten. Wir stammen aus einer Kleinstadt in Devon, wo wir ein isoliertes Leben hatten und das Denken der Leute total engstirnig war. Daraus wollten wir ausbrechen und die Welt sehen. Die Band war unsere Fahrkarte in diese Freiheit. Aber große Streits hatten und haben wir eigentlich wirklich nicht. Matt und ich streiten schon mal über musikalisc­he Details und bestimmte Songs. Aber eigentlich sind das auch eher heftige Diskussion­en und nie böse Fehden. Es wird nie so extrem wie: Er will Reggae und ich Metal. Wir haben dabei immer das Gefühl, die gleiche gemeinsame Vision zu haben. Wir haben nur unterschie­dliche Vorstellun­gen davon, wie wir zu unserem gemeinsame­n Ziel kommen.

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