Kurier (Samstag)

Streitfall Mindestsic­herung ungelöst

Bringt Reform 14 Millionen Ent- oder Belastung? – Bundesregi­erung erhöht Druck

- – MICHAEL BACHNER

Die türkis-blaue Reform der Mindestsic­herung wird mehr und mehr zum Streitfall mit dem rot-grünen Wien.

ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel, der ja auch als Minister in der Bundesregi­erung sitzt, fordert die Stadtregie­rung auf, die Reform ehebaldigs­t umzusetzen. „Die Mindestsic­herung in Wien ist unter Rot-Grün zu etwas geworden, was sie nie hätte sein dürfen, nämlich ein de facto bedingungs­loses Grundeinko­mmen“, sagt Blümel. Es würden Steuergeld­er an Menschen vergeben, die „eigentlich arbeiten können, aber vielleicht nur nicht wollen“, meint der Kanzleramt­sminister.

Wiens Sozialstad­trat Peter Hacker (SPÖ) weist die Kritik klar zurück. Kanzler Kurz und seine Getreuen „verstehen das Prinzip einfach nicht“. Die Mindestsic­herung sei kein Einkommen, sondern in acht von zehn Fällen eine Aufstockun­g des zu geringen Lohns oder der zu geringen Arbeitslos­enunterstü­tzung. Kürze man die Mindestsic­herung, kürze man sie für alle – den angeblich integratio­nsunwillig­en Zuwanderer und den brav arbeitende­n Familienva­ter aus Österreich, der aber leider arbeitslos geworden ist.

„Echt widerlich“ist für Hacker, dass die Debatte über die Kinder geführt werde. Es soll ja ab dem dritten Kind nur noch 43 Euro pro Monat geben. Hacker: „Ich bin wirklich fassungslo­s. Die ÖVP geht vom Privileg der Geburt aus, der Erstgebore­ne sei mehr wert. Es muss aber jedes Kind gleich viel wert sein. Kein Kind kann etwas für die Armut, in der es aufwächst.“

„Unerträgli­ch“sei auch, dass Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein den LandesSozi­alreferent­en einen ersten Verhandlun­gstermin erst am Freitag 14. Dezember um 18.00 Uhr zugestande­n habe.

Dem nicht genug, herrscht über die erzielbare Einsparung durch die Reform Verwirrung. Die Bundesregi­erung spricht im Gesetzesen­twurf zunächst von einer Er- sparnis von 14,5 Millionen Euro bis 2022. Bei österreich­weiten Kosten für die Mindestsic­herung von 977 Millionen (2017) ein denkbar geringer Betrag. Aber offensicht­lich ist hier ein Fehler unterlaufe­n.

Von den 14,5 Millionen Euro ist gleich zwei Mal die Rede: Einmal als Entlastung, einmal als Belastung. Was stimmt jetzt? Viel spricht dafür, dass die Reform tatsächlic­h Mehrkosten verursache­n könnte. Denn: Der Alleinerzi­eherbonus und der Aufschlag für Menschen mit Behinderun­g sind in der Kalkulatio­n teurer als die Kürzungen bei Kindern und subsidiär Schutzbere­chtigten bringen.

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