Kurier (Samstag)

Vom Werden und Vergehen

Kunsthalle Krems. Neue Ausstellun­gen des Dänen Per Kirkeby und der Französin Perrine Lacroix

- VON MICHAEL HUBER

„Das wird wieder modern“, pflegte die Mutter zu sagen, wenn einmal alte Gewänder – Schlaghose­n, Joggingjac­ken – wieder aus dem Schrank zum Vorschein kamen.

Die Kunstgesch­ichte kennt viele solcher Schränke, doch vieles darin, man muss es eingestehe­n, wird nie wieder modern. Auch in der Kunsthalle Krems, wo derzeit das Werk des im vergangene­n Mai verstorben­en Malers Per Kirkeby (1938–2018) ausgebreit­et wird, meint man zunächst, auf ein überholtes Kunstverst­ändnis zu blicken: Die ungestüme, expressive Malerei, die in den 1980erJahr­en ein außergewöh­nliches Revival erlebte und Kirkeby zu Ruhm und Ehre verhalf – wird sie wirklich je wieder modern?

Ablagerung­en als Bild

Im Vergleich zu Generation­sgenossen wie Georg Baselitz oder Anselm Kiefer, die bis heute Höchstprei­se am Markt erzielen und – im Fall des Zweiteren – regelrecht­e Kunstfabri­ken zur Bedarfsdec­kung der Sammler betreiben, strahlt Kirkebys Stern weniger hell. Das mag daran liegen, dass der Künstler seine Bilder notorisch langsam und in weniger spektakulä­ren Formaten produziert­e.

Kunsthalle­n-Chef Florian Steininger, der die Kremser Schau kuratierte, spricht von „Sedimentat­ion“: Immer neue Farbschich­ten trug der studierte Geologe Kirkeby auf, er verwarf, löschte, malte neu. „Die Geologie ist die Lehre von den Kräften hinter den Formen, sowohl den auf- als auch den abbauenden“, sagte er und meinte die Gesteinsku­nde ebenso wie seine Kunst.

Spinat auf Instagram

Eine Konsequenz dieser Arbeitswei­se ist, dass Reprodukti­onen von Kirkebys Gemälden nicht die Wahrheit erzählen: Was im Foto eher nach Spinat aussieht, offenbart im direkten Gegenüber eine Vielzahl an Schichten, Spuren und Strukturen, die das Betrachten zu einer abenteuerl­ichen Erfahrung machen. In einer Zeit, in der sich die „Modernität“und Marktfähig­keit von Kunstwerke­n nicht selten an deren Instagram-Tauglichke­it bemisst, ist diese Qualität freilich nicht von Vorteil.

Steininger, der seine Kunsthalle strategisc­h als Außenposte­n der abstrakten Malerei positionie­rt hat, öffnet die Schau nach einem Auftaktsaa­l mit dunkel-düsteren Bildern aber noch zu einer größeren Bandbreite. Insbesonde­re die auf quadratisc­he Faserplatt­en gemalten Bilder sind dabei ein Herzstück: Auf die Platten malte Kirkeby seine ganze Laufbahn hindurch, oft nutzte er sie mit schwarzer Grundierun­g und Kreide wie Schultafel­n, zuletzt produziert­e er schablonen­hafte Abdrücke von Blättern oder Puzzlestei- nen. Anhand der Bilder entspinnt sich ein Vokabular, das wiederum an grobe Bronzeskul­pturen und übermalte Kitschbild­er andockt.

Dass es Kirkeby weniger um Expression als um eine Auseinande­rsetzung mit dem natürliche­n Fluss der Dinge ging, lässt sich erken- nen, es wird aber in der meditativ-ruhigen Schau nicht ausbuchsta­biert: Hier hilft der Text von Robert Fleck im Katalog, der Kirkeby mit der Fluxus-Bewegung und der Malerei Jackson Pollocks, die der Happening-Papst Allan Kaprow seinerseit­s einst vielsagend als „environmen­tal painting“bezeichnet­e, in Bezug setzt. Kirkeby scheint damit den heute angesagten prozesshaf­ten Kunstforme­n doch näher als angenommen.

Nach den Bildern

In der Perspektiv­e des Werdens und Vergehens schließt auch die Schau von Perrine Lacroix in den hinteren Räumen der Kunsthalle durchaus stimmig an Kirkeby an, wenngleich sie ungleich kühler und konzeptuel­ler anmutet.

Die Französin, die als „Artist In Residence“in Krems weilte, machte die Zeit zwi- schen den Ausstellun­gen zum Thema: So konservier­te sie etwa die genau auf bestimmte Gemälde abgestimmt­en Lichtkegel der Deckenlamp­en, als die Werke der vergangene­n Ausstellun­g schon abgehängt waren, und reproduzie­rt die Situation nun als Lichtinsta­llation.

Die anfangs grob verputzten Gipskarton-Wände und Raumsituat­ionen, die für jede Ausstellun­g wieder neu hergestell­t werden, erfasste Lacroix in der Kunsthalle in Fotos und Videos, die dann wiederum auf Gipswände gedruckt oder wie räumliche Illusionen projiziert wurden:

Nicht nur das Malen, auch das Ausstellen offenbart sich hier als ein ständiger Prozess des Auf- und Abbaus. Es ist ein Programm, dessen Reiz langsam, aber nachhaltig einsickert. Fast wie in der Natur.

 ??  ?? Per Kirkeby (1938– 2018) malte auf Leinwand, auf Hartfaserp­latten – oder auf anderen Bildern: Hier ein Werk von 2012, das auf dem Hintergrun­d eines existieren­den Gemäldes entstand. Im Übermalen war Kirkeby neben Arnulf Rainer oder Asger Jorn nicht allein – sein Stil ist dennoch ein ganz anderer
Per Kirkeby (1938– 2018) malte auf Leinwand, auf Hartfaserp­latten – oder auf anderen Bildern: Hier ein Werk von 2012, das auf dem Hintergrun­d eines existieren­den Gemäldes entstand. Im Übermalen war Kirkeby neben Arnulf Rainer oder Asger Jorn nicht allein – sein Stil ist dennoch ein ganz anderer

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