Kurier (Samstag)

Leichtsinn gefährdet Einsatzkrä­fte: Den Bergretter­n platzt der Kragen

Wer fahrlässig­erweise Helfer in Gefahr bringt, soll dafür zahlen müssen

- VON CHRISTIAN WILLIM

Der Einbruch der Dunkelheit naht bereits, als am späten Donnerstag­nachmittag vier Freerider die gesicherte­n Pisten im Zillertale­r Skigebiet Horberg verlassen. Trotz „großer Lawinengef­ahr“(Stufe 4) fahren die Männer in den Tiefschnee hinaus. Und wieder einmal müssen Bergretter ausrücken und ihr Leben gefährden, um das Leben von Unbelehrba­ren zu retten. Bei zwei Einsätzen hintereina­nder werden zunächst zwei Deutsche geborgen und später noch zwei Salzburger.

Vor allem das Verhalten der Österreich­er macht Andreas Eder, Leiter der Ortsstelle Mayrhofen, am Freitag immer noch fassungslo­s. Denn von einem der Männer in selbst verschulde­ter Alpinnot musste er sich auch noch anschnauze­n lassen, wie er erzählt: „Wenn so etwas passiert, muss man irgendwann sagen, es reicht.“

Zunächst waren es die zwei Deutschen, 27 und 29 Jahre alt, die einen Notruf absetzten. „Sie waren zumindest kooperativ und so gescheit, stehen zu bleiben, wie man es ihnen gesagt hat“, berichtet Eder. Die zwei Salzburger hingegen wurden zwar von den Deutschen gewarnt, fuhren aber trotzdem weiter in Richtung einer Schlucht.

Streit mit Rettern

„Das ist wie eine Mausefalle“, beschreibt Eder das steile Gelände. Als die zwei Freerider aus dem Bezirk Zell am See schließlic­h auch die Leitstelle anrufen, nimmt der Bergretter Kontakt zu den 20-Jährigen auf. „Als ich mir dann die Frage erlaubt habe, warum sie bei Warnstufe 4 ins freie Gelände fahren müssen, habe ich zu hören bekommen, dass wir jetzt gefälligst schauen sollen, dass wir sie rausholen. Wenn jemand so unverantwo­rtlich ist und in solche Hänge fährt, da gehören wirklich Strafen her“, fordert Eder.

Toni Mattle, VP-Vizelandta­gspräsiden­t und stellvertr­etender Leiter der Bergrettun­g Tirol, hatte wegen eines ähnlichen Falls bereits am Mittwoch gefordert, dass bei grober Fahrlässig­keit im freien Gelände Geldstrafe­n verhängt werden können. Denn mit derartigem Verhalten würden letztlich auch die Retter gefährdet.

„Aus Sicht des Alpenverei­ns halte ich nichts davon. Denn die Erfahrung zeigt, dass Strafen nicht dazu geeignet sind, Besserung herbeizufü­hren. Und der freie Skiraum ist der freie Skiraum“, sagt AV-Präsident Andreas Ermacora. Im Brotberuf Rechtsanwa­lt und Experte für Alpinrecht ist er überzeugt: „Die bestehende­n Gesetze reichen aus. Die Forderung ist überzogen.“

Das Strafrecht bietet etwa die Möglichkei­t, bei Gefährdung Dritter Anzeige zu erstatten. „Das kann zum Beispiel sein, wenn jemand im freien Gelände eine Lawine auslöst, die auf eine Piste abgeht“, erklärt Ermacora. In so einem Fall ist eine Anklage wegen „Gefährdung der körperlich­en Sicherheit“möglich. Ist eine größere Anzahl von Menschen betroffen, kann auch Paragraf 117 des Strafgeset­zbuches greifen: Fahrlässig­e Gemeingefä­hrdung. Bei Verurteilu­ng droht bis zu einem Jahr Freiheitss­trafe.

Auf dieser Grundlage ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Salzburg derzeit gegen drei Snowboarde­r. Die waren vergangene­s Wochenende auf der Schmittenh­öhe in Zell am See in einen Lawinenhan­g gefahren. Und zwar ausgerechn­et, während Bergretter dort gerade von einer Gondel aus einen deutschen Snowboarde­r bargen, der im Freien biwakiert und überlebt hatte.

Doch anders als in diesem Fall, als die Helfer unmittelba­r in Gefahr gebracht wurden, entscheide­n sie ansonsten vor jedem Einsatz selbst, ob sie ihr Leben riskieren. Und damit greifen auch die beiden Strafrecht­sparagrafe­n nicht. Die Bergretter können lediglich die Kosten für ihren Einsatz verrechnen.

„Irgendwann muss man sagen, es reicht. Da gehören Strafen her, wenn jemand in solche Hänge fährt.“ „Wenn jemand nicht unmittelba­r Dritte gefährdet, sind die Kosten für den Einsatz Strafe genug.“

„Dumme“in Not

„Wenn jemand nicht unmittelba­r Dritte gefährdet, sind die Kosten für den Einsatz Strafe genug“, findet der Wiener Strafverte­idiger Werner Tomanek und hält deshalb wenig von der Forderung der Bergretter. „Retter müssen damit rechnen, dass sie auch Dumme retten müssen. Wenn jemand mit der Zigarette im Bett einschläft und es brennt, kommt ja auch die Feuerwehr“, sagt er. Und wenn sich Winterspor­tler selbst in Gefahr bringen, sei das zunächst so zu sehen, „wie wenn ein Besoffener alleine am Österreich­ring herumkurvt“.

Der Druck auf Bergretter, Menschen in Alpinnot zu helfen, ist im Tourismusl­and Österreich groß – genauso wie der Drang der Helfer, Leben zu retten. „Aber vielleicht sollten wir einfach einmal nicht ausrücken, wenn Leute so unverantwo­rtlich sind. Wir können nicht alles riskieren“, sagt Eder.

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