Kurier (Samstag)

„Ritzen steht auf der Tagesordnu­ng“

Asylwerber. Experten berichten von Suizidvers­uchen bei minderjähr­igen Flüchtling­en – und der fehlenden Hilfe

- VON LISA RIEGER

Völlig überrasche­nd verkündete FP-Landesrat Gottfried Waldhäusl am Donnerstag, dass jene Burschen, die zuvor aus der umstritten­en Asylunterk­unft Drasenhofe­n gekommen waren, auch die Caritas-Einrichtun­g St. Gabriel in Maria Enzersdorf verlassen müssen. Schon am 10. Jänner mussten mehrere Burschen umziehen. Der psychische Zustand der Burschen sei dementspre­chend schlecht. „Zwei der jungen Männer erlitten einen psychische­n Zusammenbr­uch. Einer, der am 10. Jänner umzog, hatte Selbstmord­gedanken geäußert“, sagt Doro Blancke von „Fairness Asyl“.

Aber nicht nur diese Jugendlich­en seien betroffen. In Mödling hatte kurz vor Weihnachte­n der Selbstmord eines Asylwerber­s die Zeugnisübe­rgabe des Pflichtsch­ulabschlus­skurses der Diakonie Flüchtling­shilfe überschatt­et. „Die Ungewisshe­it über seinen Verbleib in Österreich hatte letztlich dazu geführt, dass er seinem Leben ein Ende setzen wollte“, heißt es. Wolfgang Salm von „Fairness Asyl“und Obmann von SOS Mitmensch Korneuburg berichtet: „In den vergangene­n Monaten hat sich die Situation der Asylwerber in NÖ drastisch verschlech­tert und die Stimmung ist von ‚Abwarten und Hoffen‘ auf ‚Furcht und Ausweglosi­gkeit‘ gekippt.“Es würden immer mehr Fälle von Autoaggres­sion, Selbst- mordversuc­hen und Suiziden gemeldet werden. „Ritzen steht auf der Tagesordnu­ng“, sagt Salm. Viel zu oft sei die nötige psychosozi­ale Betreuung nicht vorhanden. „Angebote an Unterstütz­ung von psychosozi­alen Einrichtun­gen werden seitens des Landes nicht angenommen“, ergänzt Salm.

Auch Cornelius Stein, Leiter des Kriseninte­rventionsz­entrums, bestätigt: „Jugendlich­en Asylwerber­n geht es schlechter, es kommt tatsächlic­h auch zu Suizidvers­uchen.“In der derzeitige­n Situ- Doro Blancke Fairness-Asyl ation komme viel zusammen, was die jungen Geflüchtet­en belaste: „Sie haben in der Regel zu Hause und auf der Flucht schlimme Erfahrunge­n gemacht.“Das lange Warten dann auf Entscheidu­ngen, die Untätigkei­t, die negative Einstellun­g, die ihnen von den Menschen hier entgegensc­hlägt und die zahlreiche­n Verlegunge­n würden den psychische­n Zustand negativ beeinfluss­en. Auch von den Therapeute­n der Diakonie heißt es, dass die Traumata durch Verlegunge­n verstärkt und fortgesetz­t werden. Die Möglichkei­ten diese Traumata zu therapiere­n seien viel zu gering in NÖ, die Wartezeite­n sehr lange.

„Freiwillig­e, die dann überforder­t sind, springen ein. Das wird politisch bewusst in Kauf genommen.“

Supervisio­n

Kathrin N. ( Name geändert) hat bis vor Kurzem im psychologi­schen Bereich in NÖ gearbeitet. Sie sagt: „Die Situation war nie rosig. Aber seit FP-Landesrat Gottfried Waldhäusl das Ressort übernommen hat, ist das bisher ohnehin schon geringe Verständni­s für seelische Not gänzlich verschwund­en. Es ist keinerlei Interventi­on zur Verbesseru­ng des psychische­n Zustands angedacht, es besteht überhaupt kein Interesse daran.“Früher hätte es etwa klinische Psychologe­n gegeben, die von Einrichtun­g zu Einrichtun­g fuhren. Doch dies wurde gestrichen.

Freiwillig­e würden stattdesse­n einspringe­n, die dann überforder­t sind, sagt Blancke. Sie selbst müsse Supervisio­n in Anspruch nehmen. „Das wird alles politisch bewusst in Kauf genommen“, sagt sie. Am Freitag wurden mehrere Anzeigen wegen Gefährdung des Kindeswohl­s eingebrach­t.

Vom Büro Waldhäusl heißt es dazu: „Die psychologi­sche und psychiatri­sche Behandlung von minderjähr­igen Flüchtling­en kann durch Krankensch­ein sichergest­ellt werden, dass eine Überweisun­g zu einem Psychiater stattfinde­t.“Einige Einrichtun­gen seien auch an die Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie angebunden.

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NGOs berichten von Autoaggres­sion, Selbstmord­versuchen und dem Gefühl der Ausweglosi­gkeit bei minderjähr­igen Flüchtling­en

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