Kurier (Samstag)

Im stillen Örtchen

Lokalaugen­schein. Die Ski-Begeisteru­ng in Åre ist überschaub­ar, aber nicht jeden stört’s

- AUS ÅRE CHRISTOPH GEILER

Die alte Frau am Straßenran­d kann einem echt leidtun. Was sie auch probiert, es nimmt kaum jemand Notiz von ihr. Gut, es war jetzt vielleicht nicht die geschickte­ste Idee, zwei Norwegern eine schwedisch­e Fahne aufschwatz­en zu wollen, aber auch ihren Gratis-Kaffee bringt sie nicht an den Mann. Da kann sie noch so freundlich winken.

Aber wer soll hier an diesem Ort, keine fünf Gehminuten vom Zielstadio­n entfernt, auch Kaffee trinken? Wer sich eine Fahne schnappen? Wo praktisch keiner vorbeigeht, da kann auch niemand stehen bleiben. Es ist keine halbe Stunde hin bis zur Kombinatio­nsabfahrt der Damen, das Wochenende steht vor der Tür, und Åre präsentier­t sich wie im Winterschl­af.

Ortswechse­l, Besuch im sogenannte­n Sponsor Village, einer kleinen Zeltstadt, die gemacht und gedacht ist für die Tausenden Fans, die es während der Ski-WM nach Åre ziehen soll. Der laute Sound, der aus den Boxen kommt, kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass auch die Fanmeile einem stillen Örtchen gleicht. Für Menschen, die unter Platzangst leiden, wäre der WM-Ort im Momentein wahres Paradies.

Leere Tribünen

„Ich hätte mir gedacht, dass mehr los sein wird“, sagt die Kellnerin im Espresso House im Zentrum von Åre. Sie hat Zeit zum Plaudern, die elegante Kaffee-Bar ist am Vormittag genauso schlecht besucht wie die feinen Restaurant­s am Abend – und wie das Zielstadio­n. Als am Donnerstag das erste Herren-Abfahrtstr­aining gefahren wurde, hatten die Fanklubs der ÖSV-Läufer die riesige Tribüne praktisch für sich.

Für einige mag es möglicherw­eise irritieren­d wirken, dass den Menschen in Åre die Brettl’n nicht die Welt bedeuten. Für jemanden, der gerade das Remmidemmi in Kitzbühel und in Schladming erlebt hat, ist dieser entschleun­igte WM-Ort aber eine wohltuende Abwechslun­g. Auch wenn bereits die ersten Stimmen laut wurden – natürlich aus Österreich – dass es eine Frechheit gewesen sei, eine Ski-Weltmeiste­rschaft an die 1400Einwoh­ner-Gemeinde im hohen Norden zu vergeben.

Aber warum eigentlich?

Geringe Auswahl

Der Weltverban­d FIS und die Skifans müssen mittlerwei­le froh um jede Nation und Destinatio­n sein, die überhaupt noch eine Großverans­taltung austragen will. Im Skisport reduziert sich der Kreis der Kandidaten ohnehin nur auf wenige Länder in Europa (Österreich, Schweiz, Deutschlan­d, Italien, Frankreich und Schweden) und die Vereinigte­n Staaten. Als die FIS zuletzt mit dem Skisport neue Märkte erobern wollte, hatte das jeweils im Schneechao­s geendet: 1993 konnten in Morioka (JPN) nicht alle Bewerbe durchgefüh­rt werden, zwei Jahre später musste die Weltmeiste­rschaft in der spanischen Sierra Nevada überhaupt abgesagt und um ein Jahr verschoben werden.

Ruhige Zeiten

Den Protagonis­ten scheint es jedenfalls wenig auszumache­n, dass ihnen bei dieser WM nicht die Massen zujubeln. „Mir taugt es hier“, sagt etwa Super-G-Vizeweltme­ister Vincent Kriechmayr. Die Stars könnenhier völlig unbehellig­t ihre Kreise ziehen, als sich die Abfahrer am Freitag an der Talstation des Sessel- liftes versammelt­en, wurden sie von den Hobbyskifa­hrern links liegen gelassen. Wahrschein­lich hat hier sogar Marcel Hirscher seinen Frieden. Der siebenfach­e Weltcup-Gesamtsieg­er sagt heute noch, dass er in seiner Karriere nie mehr einem größeren Stress ausgesetzt gewesen sei als bei der Heim-WM 2013 in Schladming.

Flutlicht an

Dass Hirscher sich noch einmal eine Heim-WM antut, ist praktisch ausgeschlo­ssen. Saalbach-Hinterglem­m wird frühestens für 2025 den Zuschlag erhalten, die Pinzgauer Gemeinde hat sich wieder für eine Kandidatur entschiede­n. Saalbach wird und soll eine ganze andere WM werden als hier in Åre. Dafür will allein schon ÖSV-Boss Peter Schröcksna­del mit seinem kühnen Plan sorgen: „Dort fahren wir dann hoffentlic­h die Abfahrt bei Flutlicht.“

 ??  ?? Spurensuch­e: Für Menschen mit Klaustroph­obie ist der WM-Ort Åre gerade ein Paradies. Es ist so wenig los, dass die Schweden sogar gefahrlos auf den Straßen Ski fahren können
Spurensuch­e: Für Menschen mit Klaustroph­obie ist der WM-Ort Åre gerade ein Paradies. Es ist so wenig los, dass die Schweden sogar gefahrlos auf den Straßen Ski fahren können
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