Kurier (Samstag)

Fabelhafte

WELT

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Neulich kam mein Mann nachhause. Ich bemerkte ihn nicht, denn ich war in eine lateinisch­e Ausgabe von Ovids vertieft. Der Gatte baute sich vor mir auf und sagte: „Du bist der sexiest Nerd, den ich kenne.“So sehr ich mich auch über seine Aufmerksam­keit freute: Besonders nerdig finde ich es nicht, die Lektüre lateinisch­er Texte zu genießen. Außerdem braucht mein Dottore Amore gar nicht reden. Von allen medizinisc­hen Fächern spezialisi­ert er sich ausgerechn­et auf Urologie, um sich bis zu seiner Pensionier­ung mit Lulu und Spatzis zu beschäftig­en. Abseits dessen erachte ich es allerdings als super, nerdig zu sein. Umals Nerd klassifizi­ert zu werden, ist es nötig, nicht nur ein spezielles Interesse zu haben, sondern leidenscha­ftlich dafür zu brennen. Außerdem leben wir im Zeitalter der Nerds! Am Arbeitsmar­kt sind Menschen mit echter Passion, Eifer und Inbrunst begehrt. Und vor zehn Jahren dateten Topmodels Sportler und Millionäre, mittlerwei­le heiraten sie Nerds aus dem Silicon Valley. Ich bin daher dafür, am Valentinst­ag nicht nur die Liebe zu Menschen, sondern Enthusiasm­us aller Art zu feiern. Ich zum Beispiel habe aus Zuneigung zu den alten Sprachen begonnen, mit meinem Hund Latein zu sprechen. Die Flamme jeder Leidenscha­ft muss schließlic­h gepflegt werden. Der Hund schätzt die Klarheit lateinisch­er Imperative wie „Veni!“und ich komme mir weniger blöd dabei vor, ihm „Noli podicem altris canis tangere!“zu gebieten, anstatt „Nicht das Po-Loch von dem anderen Hund berühren!“Doch nach einem langen Spaziergan­g betrat ich neulich die Bäckerei, dachte nicht nach, und grüßte die Bäckersfra­uen mit: „Salvete! Venio panem petitura!“Bei ihren Blicken bedauerte ich, nicht im Vatikan zu leben. Aber so ist das halt mit der wahren Liebe. Nicht jeder wird sie verstehen, Hauptsache, man selbst spürt sie.

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