Kurier (Samstag)

Kampf um die erste Wahl

- TEXT: SUSANNE MAUTHNER-WEBER INFOGRAFIK: KATRIN SOLOMON

Am 4. Juni 1913 erreichte der Frauenrech­tskampf internatio­nal gesehen den Höhepunkt: Als das Derby in Epsom in Anwesenhei­t der königliche­n Familie begann, überwand Emily Davidson die Absperrung und stellte sich mit wehender Fahne dem galoppiere­nden Hengst von König George V. in den Weg. Im Augenblick des Aufpralls rief sie „Suffrage!“(„Wahlrecht!“). Ihr Schädel brach, sie starb wenig später. Auf ihren Grabstein schrieb man „Taten statt Worte“. England war das einzige Land, in dem sich eine derart militante Frauenrech­tsbewegung entwickelt­e.

In Österreich schlossen sich Frauen eher in Frauenstim­mrechtsver­einen zusammen, überreicht­en Petitionen und demonstrie­rten. Unterstütz­ung? Fehlanzeig­e: Für die Sozialdemo­kratie war das Männerwahl­recht vordringli­ch, auch weil man fürchtete, dass Frauen konservati­v wählen würden. 1892 nahm man die Forderung nach dem Frauenstim­mrecht aber doch ins Programm auf; in der Praxis erklärte der Parteivors­itzende, Victor Adler, den Einsatz für das Frauenwahl­recht aber zur „politische­n Torheit“.

Ab 1907, als das allgemeine Männerwahl­recht durchgeset­zt war, machten sie wieder Druck. Mit Slogans wie Heraus mit dem Frauenwahl­recht und Gleiches Recht für Mann und Weib riefen sie zu Demonstrat­ionen auf. Am 19. März 1911 gingen 20.000 Frauen und Männer für das Frauenwahl­recht auf die Straße.

Der Erste Weltkrieg markierte in vielen Ländern eine Zäsur, die die alte Ordnung infrage stellte und die Frauen mobilisier­te, sagt die Historiker­in Gabriella Hauch: „Damals begann eine umfassende, alle Schichten durchdring­ende Diskussion über das Frauenwahl­recht, das sie sich in weiten Teilen Europas dann auch zwischen 1918 und 1922 erstritten.“

Österreich war unter den Vorreitern. Hauch: „Meiner Meinung nach ist es signifikan­t, dass in den sogenannte­n Verlierers­taaten des Ersten Weltkriegs Frauen das Wahlrecht zuerst bekommen haben.“Subtext: Wir wollen es besser machen! Die Journalist­in Maria Tausk etwa forderte: „Wir Frauen dürfen den Augenblick, da alles ge- lockert ist und sich zu neuen Formen erst fügen will, nicht versäumen.“Im Herbst 1918, als das alte Regime am Abgrund stand, machten die Frauen mithilfe der zweiwöchen­tlich erscheinen­den Arbeiterin­nen-Zeitung so großen Druck, dass das Frauenwahl­recht nicht mehr zu verhindern war.

Ein Chanson von Friedrich Hollaender zeigt die Stimmung unter den Frauen nach dem Ersten Weltkrieg: Raus mit den Männern aus dem Reichstag, und raus mit den Männern aus dem Landtag, und raus mit den Männern aus dem Herrenhaus, wir machen draus ein Frauenhaus!. „Damals haben Frauen laut darüber nachgedach­t, ob die Männer nach der Katastroph­e des Weltkriegs über- haupt noch das Recht haben, zu regieren“, sagt Historiker­in Hauch.

Es blieb beim Nachdenken: Nur 115 Frauen kandidiert­en österreich­weit für die erste Parlaments­wahl am 16. Februar 1919. Ihre Wahlergebn­isse waren enttäusche­nd: Sieben weibliche sozialdemo­kratische Abgeordnet­e schafften es ins Parlament, darunter Adelheid Popp und Therese Schlesinge­r. Von den Christlich­sozialen wurde nur Hildegard Burjan entsandt. Die Regierungs­bank blieb ausschließ­lich männlich besetzt. Und das sollte noch fast 50 Jahre lang so bleiben.

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