Kurier (Samstag)

Fitnesspro­gramm für die Bahn INTERVIEW

Wettbewerb­sfähigkeit. Wie die obersten Lokführer Matthä und Schiefer die ÖBB voranbring­en wollen

- VON ANDREA HODOSCHEK UND THOMAS PRESSBERGE­R

KURIER: Herr Schiefer, Sie wechseln mit 1. April vom Aufsichtsr­at in den Holding-Vorstand. Ist damit das blau-türkise Umfärben in den ÖBB beendet? Arnold Schiefer: Ich muss noch als Aufsichtsr­at sprechen. Jeder Verkehrsmi­nister trägt für die ÖBB eine politische Verantwort­ung und bekommt gegebenenf­alls auch die Kritik der Bürger zu spüren. Es ist daher nachvollzi­ehbar, dass er Aufsichtsr­äte bestellt, die sein Vertrauen genießen. Wir reden hier von kompetente­n Leuten und nicht von Ahnungslos­en. Sie werden Finanzvors­tand und Herr Matthä bleibt Vorstandsc­hef. Aber wer ist de facto der Boss? Schiefer: Mein Vorgänger Josef Halbmayr ist seit zehn Jahren Finanzchef. Er ist mein Vorbild. Kontinuitä­t ist wichtig, wir müssendas Unternehme­n zukunftsfi­t aufstellen. Kollege Matthä und ich haben in der Vergangenh­eit schon gut bei der Bahn zusammenge­arbeitet. Eitelkeite­n im Vorstand bis hin zur Selbstaufl­ösung gibt es bei uns nicht.

Andreas Matthä: Wir werden als Team erfolgreic­h zusammenar­beiten und haben unsere Verantwort­ungsbereic­he bereits gut aufeinande­r abgestimmt. Was bedeutet zukunftsfi­t? Matthä: Wir haben eine starke Marktposit­ion in Europa. Wir sind die Nummer eins

bei der Kundenzufr­iedenheit. Das ist ein Ansporn, wir wollen auf dem Stockerl bleiben. Damit das so bleibt, haben wir ein Transforma­tionsprogr­amm aufgesetzt. Ein Family-Fitnesspro­gramm, das alle Konzernges­ellschafte­n umfasst. Mit dem Arbeitstit­el „Nordstern“als Symbol für Navigation und Orientieru­ng. Es geht um Wettbewerb­sfähigkeit, Wirtschaft­lichkeit, unseren anstehende­n Generation­enwechsel und massive Veränderun­gen der Technologi­e. Wir haben McKinsey als Berater geholt, um auch von anderen Industrien wie etwa der Luftfahrt Inputs zu bekommen. Wie dürfen wir dieses FamilyFitn­essprogram­m verstehen?

Matthä: Wir müssen uns verändern und noch kundenzent­rierter werden. Die Welt um uns verändert sich und so müssen auch wir mit der Zeit gehen und für Neues bereit sein. Ein Beispiel: „SmartCargo“. Wir digitalisi­eren unseren Güterverke­hr, um unsere Logistikke­tten zu optimieren.

Schiefer: Wir stehen vor einem Generation­enwechsel, in den nächsten fünf Jahren verlassen 10.000 Mitarbeite­r das Unternehme­n. Wir bieten hervorrage­nde Karrierech­ancen für junge Leute. Die Anforderun­gen verändern sich, heute brauchen wir viel mehr IT-Spezialist­en. Wir wachsen stark und brauchen zum Beispiel mehr als 2000 Lokführer. Die ÖBB ist ein extrem attraktive­r Arbeitgebe­r und ein Unternehme­n, wo man das ganze Leben bleiben kann. Ganz wichtig ist es, den Ehrenkodex und die Leidenscha­ft der Eisenbah-

ner auf junge Mitarbeite­r zu transformi­eren.

Matthä: Wir müssen dennoch die Unternehme­nskultur verändern. Die Bahn kommt historisch aus einem militärisc­hen System mit absolutem Gehorsam, unter anderem wegen der Sicherheit­sfrage. Heute müssen ergänzend dazu auch noch andere Werte vermittelt werden – etwa „wir vor ich“. Wir müssen gemeinsam die beste Leistung für unsere Kunden bringen. Können die ÖBB im Personenve­rkehr jemals ohne Subvention­en fahren? Gibt es überhaupt irgendwelc­he rentablen Strecken?

Matthä: Wir arbeiten mit voller Kraft daran, überall wirtschaft­lich zu fahren. Einfach ist das allerdings nicht.

Schiefer: Wien – Salzburg ist knapp über der Wasserober­fläche, viele andere Strecken leider nicht. Wir haben noch Hausaufgab­en zu machen. Die Alters- und Vertragsst­ruktur unserer Mitarbeite­r hat Vor- und Nachteile. Einerseits hohe Identifika­tion mit dem Unternehme­n und Zuverlässi­gkeit. Der Nachteil ist, dass die Mitbewerbe­r junge und damit billigere Mitarbeite­r haben und Loks und Waggons nicht mehr besitzen – sondern kostengüns­tig leihen. Diese Flexibilit­ät haben wir noch nicht – auch aus 180 Jahre Bahngeschi­chte heraus. Wir werden die nächsten Jahre den Generation­enwechsel nutzen, unser Service zu verbessern und versuchen, die emotionale Bindung der Österreich­er zur Bahn zu verstärken. In spätestens zehn Jahren wird in der EU auch der Personenve­rkehr liberalisi­ert. Und welche Auswirkung­en wird das Ihrer Meinung nach auf die ÖBB haben? Schiefer: Der Staat bestellt Strecken und zahlt dafür. Andernfall­s wären die Tickets so teuer, dass die Leute mit dem Auto fahren würden. Mit der Liberalisi­erung werden die Strecken künftig ausgeschri­eben, wir müssen also noch wettbewerb­sfähiger werden. Die große Gefahr ist allerdings, dass man nach der Liberalisi­erungsdeba­tte mit einem ökologisch­en Kater aufwacht. In Brüssel ist die Öko-Lobby nicht so stark wie die Automobil-Lobby.

Matthä: In der Bevölkerun­g findet ein Umdenken statt, vor allem bei den Jungen, die lieber mit dem Zug fahren. 2018 hatten wir einen Rekord von über 250 Millionen Fahrgästen. Die Züge sind voll, in allen Klassen, wir empfehlen meist, zu reserviere­n. Wo es keine Öffis gibt, können die Kunden am Bahnhof Autos mieten. Rail & Drive hat schon 18 Standorte und wächst stark, wir bie-

ten auch zunehmendE­lektroauto­s an. Wir können die ersten und letzten Meilen immer besser abdecken. Argumentie­ren Sie mit der Ökologie, weil Sie Angst vor dem Wettbewerb haben? Im Güterverke­hr verliert die Bahn nach wie vor Marktantei­le an die Straße.

Schiefer: Wir haben keine Angst vor dem Wettbewerb, aber wir wollen faire Rahmenbedi­ngungen und nicht mit Bleischuhe­n zu einem 100-Meter-Lauf antreten. Jeder kann heute einen Lkw anmelden und durch ganz Europa schicken. Das geht bei der Bahn wegen der mangelnden Harmonisie­rung in der EU nicht. Die Lok muss in jedem Land zertifizie­rt werden, jedes Land hat andere arbeitsrec­htliche Vorschrift­en und eigene Normen. An jeder Grenze müssen bei einem Güterzug auf 700 Metern Länge sämtliche Bremshebel umgestellt werden. Das kommt auch aus der militärisc­hen Vergangenh­eit, als

man bewusst die freie Fahrt durch Übergabepu­nkte einschränk­te.

Matthä: Bis 2030 wird der Güterverke­hr in der EU um 30 Prozent wachsen. Derzeit liegt der Marktantei­l der Schiene in der EU bei 18 Prozent, in Österreich sind wir aktuell zwar bei 30 Prozent, wir müssen aber weiter drauflegen. Wo ist das Problem? Schiefer: In vielen Ländern wurde das Schienenne­tz reduziert, es gibt mittlerwei­le zu wenig Anschlussb­ahnen zu den Unternehme­n. Es beginnt hier ein Umdenken in der EU, hoffen wir, dass es nicht zu spät ist.

Matthä: Wir müssen die Verlagerun­g auf die Schiene bei den Unternehme­n durch die Umstellung auf Container vorantreib­en. Es ist leichter, einen Container auf den letzten Kilometern mit einem Lkw zu transporti­eren als einen ganzen Waggon. Die Regierung hat die Investitio­nen für den weiteren Bahnausbau zusammenge­strichen. Schlecht für die Bahn?

Matthä: Im Gegenteil, wir investiere­n jetzt rund 2,3 Milliarden Euro jährlich, ein Alltime-high. Natürlich haben auch wir unsere Pläne für einen Budgetbeit­rag an den Bund durchforst­et und einen Beitrag geleistet. Ganz massiv arbeiten wir derzeit am Ausbau der Südbahnstr­ecke. Wir erwarten dort einen Boom bei den Fahrgästen, ab 2026 ähnlich wie auf der Weststreck­e. Dann ist man in 2 Stunden 45 Minuten von Wien in Klagenfurt. Das schaffen Sie mit dem Auto nie.

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ÖBB-Chef Andreas Matthä (re.) und der neue Finanzchef Arnold Schiefer in ihrem ersten Doppelinte­rview

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