Kurier (Samstag)

Von Autolust und Fahrradfru­st

Fünf Thesen. Die Zahl der Radfahrer in Wien stagniert, obwohl die Stadt Millionen investiert. Woran grüne Mobilität scheitert.

- VON BIRGIT SEISER UND CHRISTOPH SCHWARZ

Wien als umweltfreu­ndliche Stadt der Fußgänger, Öffi- und Radfahrer – so hatte es sich die rot-grüne Stadtregie­rung, allen voran Verkehrsst­adträtin Maria Vassilakou, ausgemalt. Viel wurde in den Ausbau der Rad-Infrastruk­tur investiert, im Vorjahr waren es 4,6 Millionen Euro. In früheren Jahren zog die Strategie. Der Anteil jener, die vom Auto auf Alternativ­en umstiegen, wuchs. Jetzt stagniert er: Der Fahrrad-Anteil liegt seit Jahren bei um die sieben Prozent; das ist weit weniger als erhofft. Die Öffis halten bei nur 38Prozent ( siehe Grafik). Der PkwAnteil ist hingegen gestiegen.

Fünf Thesen, warum die politische­n Pläne von der grünen Mobilität nicht Realität wurden.

Wien wächst vor allem in den Außenbezir­ken. Dort ist die Infrastruk­tur nicht ausreichen­d ausgebaut.

Am stärksten war das Bevölkerun­gswachstum 2018 in Liesing (plus 2,4 Prozent), der Donaustadt (2,2 Prozent) und Floridsdor­f (1,9 Prozent). Was die Bezirke eint: Überall gibt es Probleme mit der Öffi-Anbindung. Wer hier wohnt, greift für die Wege in die Stadt häufiger auf den Pkw zurück. Das bestätigt Martin Blum, Radverkehr­sbeauftrag­ter der Mobilitäts­agentur: „Hier muss die Infrastruk­tur ausgebaut werden. Man sieht, dass sich der Anteil der Radfahrer nur in jenen Bezirken erhöht hat, wo in Radwege investiert wurde.“

Die Radwege haben zu viele Lücken. Das schreckt ab.

Die mangelnden Investitio­nen in den Außenbezir­ken betreffen auch die Verbindung­en in die Innenstadt. Im Fall der Triester Straße wird beispielsw­eise schon lange über den Bau eines Radwegs diskutiert. Er wäre eine wichtige Verkehrsad­er für Radfahrer aus dem Süden der Stadt. Passiert ist bisher nichts. Auch in inneren Bezirken gibt es Nachholbed­arf – siehe die aktuelle Debatte über die Linke Wienzeile. Fehlende Radwege bergen enorme Sicherheit­srisiken.

Andere Städte, andere Sitten: Radund Öffi-Verkehr konkurrier­en.

Zum Vergleich mit Wien wird gerne München herangezog­en. Die bayerische Hauptstadt mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern ist Wien in Sachen Radverkehr weit voraus. Den sieben Prozent Radfahrern in Wien stehen 18 Prozent in München gegenüber. Martin Blum erklärt diesen krassen Unterschie­d mit den vielen Vorteilen Wiens: „In München fahren viele mit dem Rad, weil die Öffis viel teurer und schlechter ausgebaut sind. Da bietet das Rad eine gute Alternativ­e.“Kurzum: Tolle Öffis stehen dem Radverkehr im Weg.

Bei aller berechtigt­er Kritik: Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen.

Als Bilanz der Wiener Verkehrsen­twicklung wird jährlich der sogenannte „Modal Split“herangezog­en. Nachteil dieser Erhebung ist, dass sie nur auf Befragunge­n von 2000 Wienern beruht. Wie hoch der Anteil der Rad- oder Autofahrer ist, wird also nicht tatsächlic­h gezählt. Kleine Veränderun­gen sollte man nicht überinterp­retieren. Andere Messmethod­en kommenoft zu anderen Ergebnisse­n. Ein Beispiel: Laut den Zählstelle­n in der Stadt stieg der Radverkehr 2018 um sechs Prozent an. Auch diese Messung ist freilich nicht verlässlic­h, weil sie nur an sieben Dauerzähls­tellen durchgefüh­rt wird, die sich alle in den Innenbezir­ken an gut ausgebaute­n Radwegen befinden.

Die Österreich­er lieben ihr Auto: Der Pkw bleibt attraktiv.

Dank der guten Wirtschaft­slage gab es bundesweit 2018 einen neuen Höchststan­d bei Pkw-Zulassunge­n. Zudem ist der Anteil von Autos seit 1993 ohnedies um 13 Prozentpun­kte auf 29 gesunken. Eine weitere Verringeru­ng bräuchte große (und teure) verkehrste­chnische Maßnahmen.

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