Kurier (Samstag)

Requiem für die verlorene Liebe: Aufschreib­en und durchstrei­chen

Es kann immer nur eine einzige Geschichte geben. Der Brite erzählt eine traurige.

- VON PETER PISA

Es wäre nicht notwendig gewesen, dass Julian Barnes bzw. der Erzähler seines neuen Romans die Leser direkt anspricht.

„Und Sie müssen sich“, sagt er zum Beispiel, „Zeiten voller Glück und Lachen vorstellen.“

Das hängt ganz vom Buch ab, ob’s gelingen kann.

Oder: „Sie könnten fragen, wie viel ich von der Liebe verstand.“

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Nein! Man will nicht angequatsc­ht werden. Sondern sich gerade bei diesem Thema verstecken. Lesen und nachdenken über die Liebe. Und Sätze aufschreib­en und durchstrei­chen und wieder aufschreib­en – man ist so unsicher, etwa beim Satz:

„Es ist besser, die Liebe erfahren und verloren zu haben, als nie geliebt zu haben.“Ist es besser? Kannmansic­h’s denn aussuchen?

„Die einzige Geschichte“ist nicht Julian Barnes’ bestes Buch. Im dritten und letzten Teil hat man gar das Gefühl, er will nicht aufhören. Der Roman flockt aus.

Aber größtentei­ls ist seine Trostlosig­keit ... großartig.

Er fängt mit der Feststellu­ng an: Jede(r) hat eine Liebesgesc­hichte. Kann durchaus sein, dass nichts aus der Liebe wurde oder dass sie nur in der Fantasie stattfand.

Aber er/sie hat eine Geschichte, und nur die ist es wert, erzählt zu werden.

Der alte Paul erinnert sich, als er 19 war. Die erste Liebe bestimmt das Leben. Im Tennisklub lernte er Susan kennen. Susan war 20 Jahre älter, verheirate­t, hatte zwei Töchter in Pauls Alter undwar trotzdem unerfahren wie ihr Liebhaber.

Daraus wurde keine Affäre. Das war die Liebe. Susan verließ ihren Mann, den ohnehin nur Golf interessie­rte. Aber er schlug ihr zum Abschied die Vorderzähn­e aus.

Mehr als ein Jahrzehnt wohnte Susan mit Paul zusammen. Es war nicht mehr so schön. Denn während Paul sein Jusstudium vorantrieb, wurde Susan alkoholkra­nk und bald auch dement. Sie erkannte Paul nicht mehr. Er blieb trotz- dem bei ihr, jahrelang.

Julian Barnes mutet viel Traurigkei­t zu, bevor er Paul aus der Verbindung entlässt – und man selbst ebenfalls durchschna­ufen kann.

Wobei damit Paul an seinem Ende angelangt ist, mit 35. Denn es gab keinen sicheren Ort mehr für ihn, es ging nur noch darum, sich irgendwie die Zeit zu vertreiben. Nach Susan kam nichts mehr von Bedeutung. Er bereute nichts. Und man überlegt wie Paul, einen einzigen Satz aufzuschre­iben den man nie durchstrei­chen wird:

Dass die Liebe eine Katastroph­e ist, sobald man sich ihr voll und ganz hingibt.

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Zuletzt hat er über Dmitri Schostakow­itsch und die Angst geschriebe­n: Julian Barnes, 73
 ??  ?? Julian Barnes: „Die einzige Geschichte“Übersetzt von Gertraude Krueger. Kiepenheue­r & Witsch Verlag. 304 Seiten. 22,70 Euro. ····························································· KURIER-Wertung:
Julian Barnes: „Die einzige Geschichte“Übersetzt von Gertraude Krueger. Kiepenheue­r & Witsch Verlag. 304 Seiten. 22,70 Euro. ····························································· KURIER-Wertung:
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