Die Kunst DES WEITERLEBENS
Die feiert Sängerin 80. Geburtstag. und Schriftstellerin Kritiker schätzten Erika Pluhar in vierzig Burgtheater-Jahren ihre „Tiefe des Empfindens und Höhe des weiblichen Zaubers“. Schicksalsschläge haben sie gezwungen, trotz allem Ja zum Leben zu sagen. M
Als Erika Pluhar gefragt wird, ob sie als Bundespräsidentin kandidieren wolle, sagt ihre Tochter Anna: „Der Vater lebenslänglich in Haft, die Mutter wird vielleicht Bundespräsidentin – ich hab vielleicht Eltern!“Im Roman „Anna“erzählt Pluhar über die Kindheit ihrer Tochter. Eines Mädchens im Ausnahmezustand, das in einem „Schloss gezeugt wurde“. Bei „sanftem Licht aus Lampen mit Seidenschirmen … der Liebhaber und spätere Vater des Kindes hatte sie am Ende ihrer Theaterarbeit abgeholt, freudig gab sie sich ihm in diesem großen, weißen Bett hin …“Auch wenn der Beginn des Buches kitschig klingt, ist es ehrlich und einfühlsam, mutig und schonungslos geschrieben. Es ist ein Bericht voller intimer Details. Auch über den Tod ihrer Tochter. Man spürt Pluhars Trauer und Verzweiflung, die Selbstanklage gegen sich als Mutter. Anna stirbt 37-jährig an Herzversagen als Folge eines Asthmaanfalls in der Villa in Grinzing, während ihre Mutter im Tonstudio Toegel für eine CD das Lied „Die unerfüllbaren Wünsche“aufnimmt. In der ersten Zeile heißt es „I mechat was haben, was mir auf ewig g’hört“. In vier Jahren hat Erika Pluhar Vater, Mutter, Tochter und den Vater der Tochter verloren. Die Kunst des Weiterlebens wird zur Aufgabe, die gemeistert werden muss. Sie lernt von Tag zu Tag mehr, sich mit dem Schmerz zu arrangieren, trotz allem Ja zum Leben zu sagen. Eine große Fotografie ihrer Tochter hängt bis heute in ihrem Haus. Es ist ein eigenartiges Foto, ein Foto, das nicht vergilbt. Ignaz, der 15-jährige Ziehsohn von Anna, musste ihren Tod miterleben. Jetzt lebt er im Anbau der Grinzinger Villa, Erika Pluhar adoptierte den aus der Westsahara stammenden Igi, den Sohn einer Saharaui-Frau. Man erfährt im Buch „Anna“vom oberflächlichschillernden Leben der Eltern, die das kleine Mädchen wenig sehen, von Annas Herumgeschobenwerden zwischen zwei Kinderfrauen, den Großeltern und einem Kinderheim in der Schweiz. Und man erfährt vom Vater Udo Proksch,
der um Geld von der Versicherung zu kassieren, ein Frachtschiff in die Luft sprengen ließ. Wegen Mordes an sechs Seeleuten wird er zu lebenslanger Haft verurteilt. Dada heißt der Alkoholiker, Egozentriker und Macho im Buch, man liest von seinen Eskapaden, als „plötzlich ein betrunkener Vater hereinstürmte, böse lachend etwas von Weihnachtsschmaus lallte und drei tote Fische unter den Tannenbaum warf“. Erika Pluhar verkriecht sich als Kind in Brombeerhecken, glücklich allein zu sein. „Dieser große Sinn fürs Einsamsein hat mich schon immer bewohnt“, erzählt sie in einem Interview, „meine wahre Lebenskonzentration finde ich im Rückzug.“Und man erfährt in diesem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“auch von ihrer Magersucht, die sie als junges Mädchen zwei Jahre lang quält: „Etwas ist fürs Leben geblieben, ich bin außerstande zu kochen. Das ist eine richtige Phobie bei mir.“Ein selbstbewusstes Mädchen fährt in jenem schwarzen, vorne durchgeknöpften Leinenkleid, in dem sie vor Kurzem den Abschluss am Gymna- sium geschafft hat, in der Straßenbahn von Floridsdorf nach Hietzing. Zum Reinhardt-Seminar. Erika Pluhar schafft mit einem Monolog der Maria Stuart die Aufnahmsprüfung und verkündet: „Seit ich darüber nachdenken kann, was ich werden möchte, möchte ich Schauspielerin werden.“In ihrem legendären Jahrgang studieren auch Marisa Mell, die nichts als ein Star sein wollte, Senta Berger und Heidelinde Weis – mit Ihnen entwickelt sich eine Freundschaft bis heute. Bereits im Alter von 20 Jahren ist Erika Pluhar Burgschauspielerin, bald der konkurrenzlose weibliche Star an der
Burg. Nicht nur Kritiker Friedrich Torberg ist von ihr begeistert: „Die Pluhar vermittelt in ihrer Darstellung eine Tiefe des Empfindens und eine Höhe des weiblichen Zaubers ohnegleichen.“40 Jahre bleibt sie dem Theater, an dem sie als erste Schauspielerin auch nackt zu sehen ist, treu. Im Februar 1999 nimmt sie nach fast 3000 Vorstellungen, nach der „Kinder der Sonne“-Aufführung, Abschied. In einer Rede meint sie, sich einen kindlichen Wunsch erfüllt zu haben: „Nach dem Krieg, als ich das zerstörte Burgtheater sah, dachte ich mir, da möchte ich einmal Schauspielerin sein.“Mit 21 heiratet Erika Pluhar, mit 22 ist sie Mutter. Schon bald ist die für viele begehrteste Frau Österreichs rasant und selbstsicher im Porsche unterwegs. Als Adabei- Dauergast steht sie permanent im Licht der Öffentlichkeit, im Trubel des Jetsets und der Vorstadt-Promis – in der Welt der Selbstdarsteller. In der Welt ihrer Ehemänner Udo Proksch und André
Franzi Heller. Als dieser in Pluhars Villa einzieht, parkt Proksch sein Auto vor der Tür, hievt einen Lautsprecher aufs Dach und brüllt ins
Mikrofon: „Heller, verlassen sie sofort das Haus!“Als kaum 30-Jährige beginnt ihre Filmund Fernsehkarriere mit Helmut Käutners „Bel Ami“. Bald erhalten nur deutsche Filmidole wie Heinz Rühmann ähnlich hohe Gagen wie die begehrte Burgschauspielerin aus Wien. In den 1980er-Jahren hat Erika Pluhar mit ihren Texten und Liedern jungen Frauen Mut zu Eigenständigkeit gemacht und einen Weg aufgezeigt, als selbstbewusste Frau leben zu können. In jener Zeit, als sie den „Stern“wegen sexistischer Titelblätter verklagt und als Kämpferin für das selbstverständliche Frau-Sein öffentlich auftritt, zitiert sie in einem Interview für „Die Zeit“mit dem Titel Fetzen der Ver
zweiflung ihren Mann Udo Proksch, der
meinte, die Frau ist die Ebene, der Mann
will den Gipfel, „und ich habe es geglaubt und bin fast daran krepiert“, sagt Pluhar. Über ihre zweite Ehe sagt sie in diesem Gespräch mit der späteren Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, dass sie sich von der „sogenannten Kreativität dieses Mannes Heller, die von der Umwelt immer wichtig genommen wurde, zerquetscht gefühlt habe. Unsere gemeinsame Wohnung war ein einziger Altar, auf dem sein Genie loderte …“Nach der Trennung von Heller lebt Pluhar einige Jahre lang mit Peter Vogel zusammen. Es ist eine schöne Zeit, für Tochter Anna sind die beiden „so etwas wie Eltern“und er ist der erste Mann, der sagt „Erika, ich habe es gern, wenn die Frauen grau werden.“Der Schauspieler, der es nicht verkraftet, immer als Sohn des Komikers Rudolf Vogel angesprochen zu werden, geht in seiner selbstzerstörerischen Alkoholsucht unter: Als er wieder einmal einer Entziehungskur nicht gewachsen ist, wählt er in einer Wiener Pension den Freitod. Die Angst vor dem Leben ist größer als die Angst vor dem Tod. Mit 60 sagt Erika Pluhar dem Fremdtext
theater ade, beginnt Bücher zu schreiben, die bald auf den Bestsellerlisten landen. Es sind Texte einer Frau, die ans Leben glaubt, die in Würde gealtert ist und etwas zu sagen hat. Bereits seit früher Jugend führt sie mit einem Federhalter Tagebuch, es ist ein „täglicher zweistündiger Dialog.“ Erst lange nach ihrem Tod dürfen diese intimen Aufzeichnungen veröffentlich werden. Erika Pluhar hat sich – in ihrem Engagement für Emanzipation und gegen ewiggestriges Gedankengut – immer pointiert kurz gefasst, während andere für einen bescheidenen Gedanken viele Sätze benötigen. Und während manche längst schweigen, sagt sie weiterhin unbeirrt ihre Meinung. Voller Anstand, Haltung und Zivilcourage. Der Autor dieser Zeilen, der Erika Pluhar seit mehr als 40 Jahren immer wieder genau so erlebt, hat zu ihrem 80. Geburtstag am 28. Februar drei Menschen, die ihr sehr nahe stehen, um ein paar Gedanken gebeten. Werner Schneyder, mit dem Erika Pluhar seit fünf Jahrzehnten befreundet ist: „Erika Pluhar ist für mich ein Paradefall gelungener Emanzipation. Sie ist in ihren Haltungen und Urteilen autark, geht keiner Auseinandersetzung aus dem Wege, verleugnet aber nie ihr Frausein. Sie ist der beste Nachweis, dass Freundschaften zwischen Frau und Mann möglich sind, Freundschaften jenseits der sogenannten Beziehungen.“Heidelinde Weis, mit der Erika Pluhar seit der Schauspielschule verbunden bist: „Ich bewundere ihre Klarheit. Erika war mir in allen Dingen immer etwas voraus. Alles, was sie gemacht hat, hab ich zwar auch gemacht – aber immer mit etwas Verspätung und ohne, dass wir etwas voneinander gewusst haben. Wir lebten in verschiedenen Ländern, haben unsere Karrieren in verschiedenen Ländern gemacht. Den Gleichklang habe ich erst im Altwerden oder Jungbleiben festgestellt. Ich glaube, jetzt kann ich mit ihr Schritt halten.“Und ihre Freundin Senta Berger: „Ich habe Erika immer bewundert und tue es heute noch. Sie hatte immer einen Standpunkt, den sie bereit war, auch kampfeslustig zu verteidigen. Sie hatte immer Haltung, auch in den Zeiten, wo das Leben ihr keinen Halt gab. Erika war schon in unserer gemeinsamen Studienzeit im Reinhardt-Seminar eine gute Zuhörerin und bedächtige Ratgeberin. Es kostete Erika immer mehr Energie, ihre Meinung zu den großen oder kleinen Dingen unserer Zeit, zu verschweigen, als sie auszusprechen. Mit ihrer großen Offenheit hat sie eine ganze Frauengeneration ermutigt. Dazu gehöre auch ich. Alles Gute zum unfassbaren 80. Geburtstag! Umarmung von Senta.“