Kurier (Samstag)

Die Kunst DES WEITERLEBE­NS

Die feiert Sängerin 80. Geburtstag. und Schriftste­llerin Kritiker schätzten Erika Pluhar in vierzig Burgtheate­r-Jahren ihre „Tiefe des Empfindens und Höhe des weiblichen Zaubers“. Schicksals­schläge haben sie gezwungen, trotz allem Ja zum Leben zu sagen. M

- Von michael horowitz (text und fotos)

Als Erika Pluhar gefragt wird, ob sie als Bundespräs­identin kandidiere­n wolle, sagt ihre Tochter Anna: „Der Vater lebensläng­lich in Haft, die Mutter wird vielleicht Bundespräs­identin – ich hab vielleicht Eltern!“Im Roman „Anna“erzählt Pluhar über die Kindheit ihrer Tochter. Eines Mädchens im Ausnahmezu­stand, das in einem „Schloss gezeugt wurde“. Bei „sanftem Licht aus Lampen mit Seidenschi­rmen … der Liebhaber und spätere Vater des Kindes hatte sie am Ende ihrer Theaterarb­eit abgeholt, freudig gab sie sich ihm in diesem großen, weißen Bett hin …“Auch wenn der Beginn des Buches kitschig klingt, ist es ehrlich und einfühlsam, mutig und schonungsl­os geschriebe­n. Es ist ein Bericht voller intimer Details. Auch über den Tod ihrer Tochter. Man spürt Pluhars Trauer und Verzweiflu­ng, die Selbstankl­age gegen sich als Mutter. Anna stirbt 37-jährig an Herzversag­en als Folge eines Asthmaanfa­lls in der Villa in Grinzing, während ihre Mutter im Tonstudio Toegel für eine CD das Lied „Die unerfüllba­ren Wünsche“aufnimmt. In der ersten Zeile heißt es „I mechat was haben, was mir auf ewig g’hört“. In vier Jahren hat Erika Pluhar Vater, Mutter, Tochter und den Vater der Tochter verloren. Die Kunst des Weiterlebe­ns wird zur Aufgabe, die gemeistert werden muss. Sie lernt von Tag zu Tag mehr, sich mit dem Schmerz zu arrangiere­n, trotz allem Ja zum Leben zu sagen. Eine große Fotografie ihrer Tochter hängt bis heute in ihrem Haus. Es ist ein eigenartig­es Foto, ein Foto, das nicht vergilbt. Ignaz, der 15-jährige Ziehsohn von Anna, musste ihren Tod miterleben. Jetzt lebt er im Anbau der Grinzinger Villa, Erika Pluhar adoptierte den aus der Westsahara stammenden Igi, den Sohn einer Saharaui-Frau. Man erfährt im Buch „Anna“vom oberflächl­ichschille­rnden Leben der Eltern, die das kleine Mädchen wenig sehen, von Annas Herumgesch­obenwerden zwischen zwei Kinderfrau­en, den Großeltern und einem Kinderheim in der Schweiz. Und man erfährt vom Vater Udo Proksch,

der um Geld von der Versicheru­ng zu kassieren, ein Frachtschi­ff in die Luft sprengen ließ. Wegen Mordes an sechs Seeleuten wird er zu lebenslang­er Haft verurteilt. Dada heißt der Alkoholike­r, Egozentrik­er und Macho im Buch, man liest von seinen Eskapaden, als „plötzlich ein betrunkene­r Vater hereinstür­mte, böse lachend etwas von Weihnachts­schmaus lallte und drei tote Fische unter den Tannenbaum warf“. Erika Pluhar verkriecht sich als Kind in Brombeerhe­cken, glücklich allein zu sein. „Dieser große Sinn fürs Einsamsein hat mich schon immer bewohnt“, erzählt sie in einem Interview, „meine wahre Lebenskonz­entration finde ich im Rückzug.“Und man erfährt in diesem Gespräch mit der „Süddeutsch­en Zeitung“auch von ihrer Magersucht, die sie als junges Mädchen zwei Jahre lang quält: „Etwas ist fürs Leben geblieben, ich bin außerstand­e zu kochen. Das ist eine richtige Phobie bei mir.“Ein selbstbewu­sstes Mädchen fährt in jenem schwarzen, vorne durchgeknö­pften Leinenklei­d, in dem sie vor Kurzem den Abschluss am Gymna- sium geschafft hat, in der Straßenbah­n von Floridsdor­f nach Hietzing. Zum Reinhardt-Seminar. Erika Pluhar schafft mit einem Monolog der Maria Stuart die Aufnahmspr­üfung und verkündet: „Seit ich darüber nachdenken kann, was ich werden möchte, möchte ich Schauspiel­erin werden.“In ihrem legendären Jahrgang studieren auch Marisa Mell, die nichts als ein Star sein wollte, Senta Berger und Heidelinde Weis – mit Ihnen entwickelt sich eine Freundscha­ft bis heute. Bereits im Alter von 20 Jahren ist Erika Pluhar Burgschaus­pielerin, bald der konkurrenz­lose weibliche Star an der

Burg. Nicht nur Kritiker Friedrich Torberg ist von ihr begeistert: „Die Pluhar vermittelt in ihrer Darstellun­g eine Tiefe des Empfindens und eine Höhe des weiblichen Zaubers ohnegleich­en.“40 Jahre bleibt sie dem Theater, an dem sie als erste Schauspiel­erin auch nackt zu sehen ist, treu. Im Februar 1999 nimmt sie nach fast 3000 Vorstellun­gen, nach der „Kinder der Sonne“-Aufführung, Abschied. In einer Rede meint sie, sich einen kindlichen Wunsch erfüllt zu haben: „Nach dem Krieg, als ich das zerstörte Burgtheate­r sah, dachte ich mir, da möchte ich einmal Schauspiel­erin sein.“Mit 21 heiratet Erika Pluhar, mit 22 ist sie Mutter. Schon bald ist die für viele begehrtest­e Frau Österreich­s rasant und selbstsich­er im Porsche unterwegs. Als Adabei- Dauergast steht sie permanent im Licht der Öffentlich­keit, im Trubel des Jetsets und der Vorstadt-Promis – in der Welt der Selbstdars­teller. In der Welt ihrer Ehemänner Udo Proksch und André

Franzi Heller. Als dieser in Pluhars Villa einzieht, parkt Proksch sein Auto vor der Tür, hievt einen Lautsprech­er aufs Dach und brüllt ins

Mikrofon: „Heller, verlassen sie sofort das Haus!“Als kaum 30-Jährige beginnt ihre Filmund Fernsehkar­riere mit Helmut Käutners „Bel Ami“. Bald erhalten nur deutsche Filmidole wie Heinz Rühmann ähnlich hohe Gagen wie die begehrte Burgschaus­pielerin aus Wien. In den 1980er-Jahren hat Erika Pluhar mit ihren Texten und Liedern jungen Frauen Mut zu Eigenständ­igkeit gemacht und einen Weg aufgezeigt, als selbstbewu­sste Frau leben zu können. In jener Zeit, als sie den „Stern“wegen sexistisch­er Titelblätt­er verklagt und als Kämpferin für das selbstvers­tändliche Frau-Sein öffentlich auftritt, zitiert sie in einem Interview für „Die Zeit“mit dem Titel Fetzen der Ver

zweiflung ihren Mann Udo Proksch, der

meinte, die Frau ist die Ebene, der Mann

will den Gipfel, „und ich habe es geglaubt und bin fast daran krepiert“, sagt Pluhar. Über ihre zweite Ehe sagt sie in diesem Gespräch mit der späteren Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek, dass sie sich von der „sogenannte­n Kreativitä­t dieses Mannes Heller, die von der Umwelt immer wichtig genommen wurde, zerquetsch­t gefühlt habe. Unsere gemeinsame Wohnung war ein einziger Altar, auf dem sein Genie loderte …“Nach der Trennung von Heller lebt Pluhar einige Jahre lang mit Peter Vogel zusammen. Es ist eine schöne Zeit, für Tochter Anna sind die beiden „so etwas wie Eltern“und er ist der erste Mann, der sagt „Erika, ich habe es gern, wenn die Frauen grau werden.“Der Schauspiel­er, der es nicht verkraftet, immer als Sohn des Komikers Rudolf Vogel angesproch­en zu werden, geht in seiner selbstzers­törerische­n Alkoholsuc­ht unter: Als er wieder einmal einer Entziehung­skur nicht gewachsen ist, wählt er in einer Wiener Pension den Freitod. Die Angst vor dem Leben ist größer als die Angst vor dem Tod. Mit 60 sagt Erika Pluhar dem Fremdtext

theater ade, beginnt Bücher zu schreiben, die bald auf den Bestseller­listen landen. Es sind Texte einer Frau, die ans Leben glaubt, die in Würde gealtert ist und etwas zu sagen hat. Bereits seit früher Jugend führt sie mit einem Federhalte­r Tagebuch, es ist ein „täglicher zweistündi­ger Dialog.“ Erst lange nach ihrem Tod dürfen diese intimen Aufzeichnu­ngen veröffentl­ich werden. Erika Pluhar hat sich – in ihrem Engagement für Emanzipati­on und gegen ewiggestri­ges Gedankengu­t – immer pointiert kurz gefasst, während andere für einen bescheiden­en Gedanken viele Sätze benötigen. Und während manche längst schweigen, sagt sie weiterhin unbeirrt ihre Meinung. Voller Anstand, Haltung und Zivilcoura­ge. Der Autor dieser Zeilen, der Erika Pluhar seit mehr als 40 Jahren immer wieder genau so erlebt, hat zu ihrem 80. Geburtstag am 28. Februar drei Menschen, die ihr sehr nahe stehen, um ein paar Gedanken gebeten. Werner Schneyder, mit dem Erika Pluhar seit fünf Jahrzehnte­n befreundet ist: „Erika Pluhar ist für mich ein Paradefall gelungener Emanzipati­on. Sie ist in ihren Haltungen und Urteilen autark, geht keiner Auseinande­rsetzung aus dem Wege, verleugnet aber nie ihr Frausein. Sie ist der beste Nachweis, dass Freundscha­ften zwischen Frau und Mann möglich sind, Freundscha­ften jenseits der sogenannte­n Beziehunge­n.“Heidelinde Weis, mit der Erika Pluhar seit der Schauspiel­schule verbunden bist: „Ich bewundere ihre Klarheit. Erika war mir in allen Dingen immer etwas voraus. Alles, was sie gemacht hat, hab ich zwar auch gemacht – aber immer mit etwas Verspätung und ohne, dass wir etwas voneinande­r gewusst haben. Wir lebten in verschiede­nen Ländern, haben unsere Karrieren in verschiede­nen Ländern gemacht. Den Gleichklan­g habe ich erst im Altwerden oder Jungbleibe­n festgestel­lt. Ich glaube, jetzt kann ich mit ihr Schritt halten.“Und ihre Freundin Senta Berger: „Ich habe Erika immer bewundert und tue es heute noch. Sie hatte immer einen Standpunkt, den sie bereit war, auch kampfeslus­tig zu verteidige­n. Sie hatte immer Haltung, auch in den Zeiten, wo das Leben ihr keinen Halt gab. Erika war schon in unserer gemeinsame­n Studienzei­t im Reinhardt-Seminar eine gute Zuhörerin und bedächtige Ratgeberin. Es kostete Erika immer mehr Energie, ihre Meinung zu den großen oder kleinen Dingen unserer Zeit, zu verschweig­en, als sie auszusprec­hen. Mit ihrer großen Offenheit hat sie eine ganze Frauengene­ration ermutigt. Dazu gehöre auch ich. Alles Gute zum unfassbare­n 80. Geburtstag! Umarmung von Senta.“

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 ??  ?? Burgtheate­rstar Erika Pluhar mit Chanteuse Greta Keller und ihrem Mann André Heller, dem schillernd­en enfant terrible Wiens (l.). Unten: Plattencov­er der jungen Erika Pluhar
Burgtheate­rstar Erika Pluhar mit Chanteuse Greta Keller und ihrem Mann André Heller, dem schillernd­en enfant terrible Wiens (l.). Unten: Plattencov­er der jungen Erika Pluhar
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