Kurier (Samstag)

Leitartike­l Kann die Justiz irren?

Gerichte sind nicht sakrosankt. Allerdings liegen die Gründe für seltsame Urteile oft anderswo.

- MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

In jüngster Zeit hat die Justiz leise Zweifel an ihrer Weisheit genährt: Aktuelles Beispiel ist das Kuh-Urteil in erster Instanz, das das „wanderbare Österreich“mit horrenden Schadeners­atzzahlung­en für einen Almbauern auf den Gipfel trieb. Muss/Darf man auch überlange Verfahren kritisiere­n (Buwog/Grasser und Bawag, wo am Freitag nach 13 Jahren vier neue Anklagen kamen), zu harte Urteile sowie Zickzackku­rs (etwa bei Peter Westenthal­er)? Oder sind an merkwürdig­en Entscheidu­ngen vielleicht nicht nur Gerichte schuld, sondern auch wir selbst? Gut möglich. So wird zum Beispiel ein Unglücksfa­ll wie der auf der Alm immer seltener als schicksalh­aft akzeptiert. Immer muss jemand verklagt werden. Aber nicht überall gibt es einen wirklich Schuldigen, und Recht bedeutet nicht unbedingt Gerechtigk­eit. Wir wollen Rechtsschu­tz gegen alles, auch gegen den Tod. In den USA hat diese von Anwälten als Geschäftsm­odell geförderte Klagswut übrigens zu einer massiven Verteuerun­g des Gesundheit­swesens geführt.

„Hängt ihn höher“

Das alles vergrößert nicht nur die Zahl der Gerichtsfä­lle (auch in der jeweils nächsthöhe­ren Instanz), sondern ebenso den Druck auf die Gerichte, auch vonseiten der Medien. Deren unausgespr­ochenes Motto lautet oft „Hängt ihn höher“, speziell bei Politikern. Ein Freispruch wird als Fehlurteil betrachtet. Das hat offenbar die Verunsiche­rung bei Richterinn­en und Richter massiv steigen lassen. Sie holen daher ein Gutachten nach dem anderen ein, was zu überlangen Verfahren führt. Es regiert die Sorge, dass ein Urteil von der nächsten „Instanz gehoben“wird. Umgekehrt fahren Prominente (wie Julius Meinl) eine Anwalts-Armada auf und sorgen damit ebenfalls für Verzögerun­g.

Ein Sonderprob­lem sind unübersich­tliche und schlecht gemachte Gesetze. Und natürlich leiden die Gerichte darunter, dass politische Entscheidu­ngen immer häufiger ans (Höchst-)Gericht delegiert werden. Daher braucht man sich – umgekehrt – nicht zu wundern, dass der Verfassung­sgerichtsh­of immer öfter zu politische­n Urteilen neigt. Keine gute Entwicklun­g. Außerdem: Mit Strafanzei­gen wird gern Politik gemacht. Das generiert Aufmerksam­keit, patzt den Gegner an. Die allfällige sang- und klanglose Einstellun­g des Verfahrens macht dann deutlich kleinere Schlagzeil­en, als die Anzeige. Unangefoch­tener „Experte“auf diesem Gebiet ist Peter Pilz.

Auch hinter dem aktuellen EuGH-Urteil zum Karfreitag steckt eine politische Agenda: Die Arbeiterka­mmer wollte einen zusätzlich­en Feiertag für alle erstreiten. Obwohl sich in der realen Arbeitswel­t eigentlich kaum jemand am Privileg der Evangelisc­hen stieß, konnte der Gerichtsho­f nicht anders, als eine Diskrimini­erung festzustel­len.

Fazit: Sachliche Kritik an Urteilen muss zulässig sein, weder ist die Gerichtsba­rkeit sakrosankt, noch sollte sie Politik-Ersatz sein. Aber wer zu Recht problemati­sche Justiz-Entwicklun­gen anprangert, darf auch die Gründe dafür nicht aus den Augen verlieren.

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