Der Rausch – unser Schicksal?
Lust, Laster, Risiko. Pünktlich zum Faschingswochenende: die Kulturgeschichte der Trunkenheit
„Es ist ein Brauch von Alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör.“Dieser Spruch von Wilhelm Busch sagt viel zum Thema Alkohol und dessen Missbrauch. Und dennoch gilt der „Fetz’n“als jahrtausendealter Begleiter der Menschen – ob mit oder ohne Sorge.
Die Dosis macht das Gift. An dieser Stelle sei daher das Kleinformat des Vollrauschs erwähnt – der Schwips, lieblich „Damenspitz“genannt. Laut Wikipedia „jener Zustand, der mit der beschwingenden, nur leicht berauschenden und enthemmenden Wirkung des Alkohols verbunden ist“. Hans Moser hat ihm ein Denkmal in Liedform gesetzt: Kleines Schwipserl, bleib’ recht lang, lang bei mir. Kleines Schwipserl, das wär’ wirklich lieb von dir.
Besoffene Mikroben
Nächste Station: der Rausch als Zustand fortgeschrittener Trunkenheit. „Blunznfett“und „blattlwach“würde es so mancher Wiener wohl formulieren. Nüchtern betrachtet ist „Trunkenheit so gut wie universell. Fast jede Kultur auf der Welt verfügt über Stoff “, schreibt Mark Forsyth. Er hat sich für sein neues Buch in die Kulturgeschichte der Trunkenheit vertieft, in deren „Fallstricke und ihre Götter“(Verlag Klett-Cotta, 20,60 €). Darin erfährt man so manch Überraschendes. Zum Beispiel dass „wir Trinker waren, noch bevor wir zu Menschen wurden“.
Alkohol war und ist von Anbeginn Bestandteil der Natur. Als das Leben vor viereinhalb Milliarden Jahren begann, geschah das in Form von Mikroben. Die dümpelten, so Forsyth, „in einer sogenannten Ursuppe herum, ernährten sich von Einfachzucker und schieden so Ethanol und Kohlendioxid aus“. Rustikal formuliert: „Sie pissten quasi Bier.“Tja, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
Im Laufe der folgenden Jahrtausende entdeckten die Menschen die gesamte Bandbreite der Berauschung durch vergorene Früchte und vergorenes Getreide. Trinken wurde rituell. Daran hat sich nichts geändert: Für die meisten Menschen gehört ein ordentlicher Rausch zum Erwachsenwerden. Ja, unser Organismus scheint geradezu dafür gemacht – bereits vor Millionen Jahren wurde Alkohol konsumiert. Aufgrund einer Genmutation ist der Mensch in der Lage, ihn mithilfe des Enzyms Alkohol-Dehydrogenase abzubauen.
Feucht & trocken
Anthropologen, die sich mit dem Thema Trunkenheit auseinandersetzen, unterscheiden zwischen „feuchten“und „trockenen“Kulturen. „In feuchten Kulturen pflegen die Leute einen völlig entspannten Umgang mit Alkohol. Sie süffeln ihn den lieben langen Tag und haben eine Bombenzeit, ohne dabei allzu oft übelst, also komamäßig betrunken zu werden“, so Forsyth. Trockene Kulturen wären das exakte Gegenteil: „Sie sind nicht trocken im Sinne von alkoholfrei, sondern heißen so, weil die Leute sich des Alkohols sehr bewusst sind und strenge Regeln bezüglich seines Konsums haben. Wenn es dementsprechend erlaubt ist, hauen sie voll auf die Kacke.“Feuchte Kulturen findet man in Südeuropa. Die Nordeuropäische hingegen sei eher trocken, insofern, „als es vormittags eher keinen Alkohol gibt, da- für aber am Freitagabend ein massives Gelage“. Zurück zur Ursuppe: Vor allem Bier war immer und überall. Wie etwa bei den Mesopotamiern, die über Ninkasi, die Göttin des Bieres schrieben. Für die wurde sogar eine Hymne verfasst. „Jeder trank Bier, Könige tranken es auf dem Thron. Priester tranken es im Tempel“, so Forsyth. Quasi die evolutionäre Vorstufe des Oktoberfests.
Auch die Ägypter tranken, wie genau, ist allerdings unklar. Immerhin weiß der Trunkenheitsexperte: „Bei einer ägyptischen Trinkrunde, auch einer von ehrenwerten Damen der Gesellschaft, musste immer jemand aufpassen, dass man nicht kopfüber in den Nil plumpste….“Außerdem fand jährlich ein Festival der Trunkenheit statt – Komasaufen zu Ehren der Göttin Hathor.
Apropos: Wo ein Gott, da Promille. „Auch bei den Wikingern ist der Chefgott gleichzeitig der trunkene Gott“, schreibt Forsyth. Odin nahm ausschließlich Wein zu sich. In den Sagen schlürfen die Wikinger aber bevorzugt Met.
Diverse Trinkgelage
Die Griechen waren bekanntlich auch nicht fad, schienen aber einen kritischen Zugang zum Thema Alkohol zu haben. Die Athener philosophierten darüber, wie betrunken man werden durfte und wie mansich besoffen genau zu verhalten habe. Die Griechen gaben ihren Trinkgelagen einen Namen: Symposion. Dabei soff man Wein von der Insel Lesbos, der in Bottichen von Sklaven angekarrt wurde. Teilnehmen durften nur Männer. Bei den Römern hieß das Massenbesäufnis inklusive Ausschweifungen aller Art Convivium. Jahrhunderte später, 1797, produzierte die größte Destillerie Amerikas 11.000 Gallonen Whiskey pro Jahr (ca. 41.000 Liter) – ihr Besitzer: George Washington. Wer in die Wildnis ging, tat das nie ohne Whiskeyfass. Schließlich landet der Leser an der Theke und schnuppert alkoholgetränkte Saloon-Luft. Irgendwann kam die Prohibition.
Am Ende stellt Forsyth die Frage, was es mit dem Phänomen der Trunkenheit auf sich habe – als „nicht tot zu kriegenden menschlichen Antrieb“. Irgendeinen Grund zum Saufen gibt es offenbar immer. Sei es, weil ein Arbeitstag zu Ende gegangen ist, weil geheiratet wird oder jemand Geburtstag hat. Der Rausch ist unser Schicksal: Der Mensch trinkt auch, um zu entkommen ( s. Interview unten).
Genau dazu stellt der Autor die wichtigste Frage überhaupt: Wovor laufen wir davon? Eine Antwort darauf hat er allerdings keine.