Kurier (Samstag)

Der Rausch – unser Schicksal?

Lust, Laster, Risiko. Pünktlich zum Faschingsw­ochenende: die Kulturgesc­hichte der Trunkenhei­t

- VON GABRIELE KUHN

„Es ist ein Brauch von Alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör.“Dieser Spruch von Wilhelm Busch sagt viel zum Thema Alkohol und dessen Missbrauch. Und dennoch gilt der „Fetz’n“als jahrtausen­dealter Begleiter der Menschen – ob mit oder ohne Sorge.

Die Dosis macht das Gift. An dieser Stelle sei daher das Kleinforma­t des Vollrausch­s erwähnt – der Schwips, lieblich „Damenspitz“genannt. Laut Wikipedia „jener Zustand, der mit der beschwinge­nden, nur leicht berauschen­den und enthemmend­en Wirkung des Alkohols verbunden ist“. Hans Moser hat ihm ein Denkmal in Liedform gesetzt: Kleines Schwipserl, bleib’ recht lang, lang bei mir. Kleines Schwipserl, das wär’ wirklich lieb von dir.

Besoffene Mikroben

Nächste Station: der Rausch als Zustand fortgeschr­ittener Trunkenhei­t. „Blunznfett“und „blattlwach“würde es so mancher Wiener wohl formuliere­n. Nüchtern betrachtet ist „Trunkenhei­t so gut wie universell. Fast jede Kultur auf der Welt verfügt über Stoff “, schreibt Mark Forsyth. Er hat sich für sein neues Buch in die Kulturgesc­hichte der Trunkenhei­t vertieft, in deren „Fallstrick­e und ihre Götter“(Verlag Klett-Cotta, 20,60 €). Darin erfährt man so manch Überrasche­ndes. Zum Beispiel dass „wir Trinker waren, noch bevor wir zu Menschen wurden“.

Alkohol war und ist von Anbeginn Bestandtei­l der Natur. Als das Leben vor viereinhal­b Milliarden Jahren begann, geschah das in Form von Mikroben. Die dümpelten, so Forsyth, „in einer sogenannte­n Ursuppe herum, ernährten sich von Einfachzuc­ker und schieden so Ethanol und Kohlendiox­id aus“. Rustikal formuliert: „Sie pissten quasi Bier.“Tja, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Im Laufe der folgenden Jahrtausen­de entdeckten die Menschen die gesamte Bandbreite der Berauschun­g durch vergorene Früchte und vergorenes Getreide. Trinken wurde rituell. Daran hat sich nichts geändert: Für die meisten Menschen gehört ein ordentlich­er Rausch zum Erwachsenw­erden. Ja, unser Organismus scheint geradezu dafür gemacht – bereits vor Millionen Jahren wurde Alkohol konsumiert. Aufgrund einer Genmutatio­n ist der Mensch in der Lage, ihn mithilfe des Enzyms Alkohol-Dehydrogen­ase abzubauen.

Feucht & trocken

Anthropolo­gen, die sich mit dem Thema Trunkenhei­t auseinande­rsetzen, unterschei­den zwischen „feuchten“und „trockenen“Kulturen. „In feuchten Kulturen pflegen die Leute einen völlig entspannte­n Umgang mit Alkohol. Sie süffeln ihn den lieben langen Tag und haben eine Bombenzeit, ohne dabei allzu oft übelst, also komamäßig betrunken zu werden“, so Forsyth. Trockene Kulturen wären das exakte Gegenteil: „Sie sind nicht trocken im Sinne von alkoholfre­i, sondern heißen so, weil die Leute sich des Alkohols sehr bewusst sind und strenge Regeln bezüglich seines Konsums haben. Wenn es dementspre­chend erlaubt ist, hauen sie voll auf die Kacke.“Feuchte Kulturen findet man in Südeuropa. Die Nordeuropä­ische hingegen sei eher trocken, insofern, „als es vormittags eher keinen Alkohol gibt, da- für aber am Freitagabe­nd ein massives Gelage“. Zurück zur Ursuppe: Vor allem Bier war immer und überall. Wie etwa bei den Mesopotami­ern, die über Ninkasi, die Göttin des Bieres schrieben. Für die wurde sogar eine Hymne verfasst. „Jeder trank Bier, Könige tranken es auf dem Thron. Priester tranken es im Tempel“, so Forsyth. Quasi die evolutionä­re Vorstufe des Oktoberfes­ts.

Auch die Ägypter tranken, wie genau, ist allerdings unklar. Immerhin weiß der Trunkenhei­tsexperte: „Bei einer ägyptische­n Trinkrunde, auch einer von ehrenwerte­n Damen der Gesellscha­ft, musste immer jemand aufpassen, dass man nicht kopfüber in den Nil plumpste….“Außerdem fand jährlich ein Festival der Trunkenhei­t statt – Komasaufen zu Ehren der Göttin Hathor.

Apropos: Wo ein Gott, da Promille. „Auch bei den Wikingern ist der Chefgott gleichzeit­ig der trunkene Gott“, schreibt Forsyth. Odin nahm ausschließ­lich Wein zu sich. In den Sagen schlürfen die Wikinger aber bevorzugt Met.

Diverse Trinkgelag­e

Die Griechen waren bekanntlic­h auch nicht fad, schienen aber einen kritischen Zugang zum Thema Alkohol zu haben. Die Athener philosophi­erten darüber, wie betrunken man werden durfte und wie mansich besoffen genau zu verhalten habe. Die Griechen gaben ihren Trinkgelag­en einen Namen: Symposion. Dabei soff man Wein von der Insel Lesbos, der in Bottichen von Sklaven angekarrt wurde. Teilnehmen durften nur Männer. Bei den Römern hieß das Massenbesä­ufnis inklusive Ausschweif­ungen aller Art Convivium. Jahrhunder­te später, 1797, produziert­e die größte Destilleri­e Amerikas 11.000 Gallonen Whiskey pro Jahr (ca. 41.000 Liter) – ihr Besitzer: George Washington. Wer in die Wildnis ging, tat das nie ohne Whiskeyfas­s. Schließlic­h landet der Leser an der Theke und schnuppert alkoholget­ränkte Saloon-Luft. Irgendwann kam die Prohibitio­n.

Am Ende stellt Forsyth die Frage, was es mit dem Phänomen der Trunkenhei­t auf sich habe – als „nicht tot zu kriegenden menschlich­en Antrieb“. Irgendeine­n Grund zum Saufen gibt es offenbar immer. Sei es, weil ein Arbeitstag zu Ende gegangen ist, weil geheiratet wird oder jemand Geburtstag hat. Der Rausch ist unser Schicksal: Der Mensch trinkt auch, um zu entkommen ( s. Interview unten).

Genau dazu stellt der Autor die wichtigste Frage überhaupt: Wovor laufen wir davon? Eine Antwort darauf hat er allerdings keine.

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Der „Schwips“wird auch „Damenspitz“genannt – und als Zustand leichter Betrunkenh­eit vielfach besungen
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Univ.-Prof. Gabriele Fischer, Psychiater­in, Suchtforsc­herin
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