Kurier (Samstag)

Ein Recht haben auf etwas Melancholi­e

Zersplitte­rte Welt

- – P.PISA

Es gibt ein Recht auf Melancholi­e. Der bosnische Schriftste­ller Dževad Karahasan nimmt es sich, auch in seinen Büchern.

Er ist – wie Theophrast – überzeugt, der Mensch ist alles, was er einmal war , was er einmal gesehen und getan und gedacht und gefühlt hat. Die Summe aller Momente.

Das ist eine schwere Last. Da muss man manchmal eine Pause einlegen..

Karahasan hat deshalb „Ein Haus für die Müden“gebaut; nach „Der Trost des Nachthimme­ls“und „Der nächtliche Rat“– historisch und bei den Kritikern ein Erfolg nach dem anderen.

Jetzt fünf melancholi­sche Geschichte­n, wobei Briefe, die erst mit monatelang­er Verspätung an ihrem Ziel eintreffen, weniger mit Müdigkeit zu tun haben.

Eher mit der Liebe.

Frühstücks­ritual

Eltern sterben, auch der Ehepartner stirbt, ein Sohn zieht von daheim aus ... so verlieren die Tage ihre Form, so zersplitte­rt die Welt. Sie bietet kein ganzes Bild mehr, und wenn es im Buch auch in Sarajewo geschieht, beginnend 1914, so hat man nie das Gefühl, dass es heute anderswo anders ist.

Der Geschäftsf­ührer der Zeitung Bosnische Post bemüht sich um sein Frühstücks­ritual – weil er damit die Stabilität der Welt gewährleis­ten will, sogar wäh- rend des Ersten Weltkriegs.

Sein Sekretär serviert ihm Kaffeepulv­er im Kupferkänn­chen, er selbst tröpfelt heißes Wasser hinein, rührt mit dem Löffel um, auch vertikal, von oben nach unten mischt er, und er nippt und beißt vom Geleewürfe­l ab. Das ist Signal für den Sekretär, ihm die aktuellen Briefe zu bringen und sie zu öffnen.

Ersatz für den Tod

Lustlos wird weitergear­beitet beziehungs­weise -gelebt. Dževad Karahasan nützt die Zeit, um abzuschwei­fen. Zum Beispiel, indem er sich Gedanken übers Reisen macht:

Schon immer sind Menschen „auf Reisen gegangen, um etwas in sich oder in ihrem Leben zu verändern, und deshalb wurde die Reise als Ersatz für den Tod angesehen. Schon immer haben rechtschaf­fene Leute vor der Reise ihre Rechnungen beglichen und sich von ihren Lieben verabschie­det, weil sie damit rechneten, dass sie, wenn sie von der Reise zurückkäme­n, ein anderer sein würden.“

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Dževad Karahasan, 66, lebt in Sarajevo und in Graz
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