Kurier (Samstag)

Aus der Dummheit kommt der Hass

48 Texte über Verbrechen, Gerechtigk­eit und einen gedeckten Tisch

- – P.PISA

Man kann, und das macht der Verlag, Ferdinand von Schirachs neues Buch so sehen:

„Es verwebt autobiogra­fische Erzählunge­n, Aperçus, Notizen und Beobachtun­gen zu einem erzähleris­chen Ganzen, in dem sich Privates und Allgemeine­s berühren, verzahnen und sogar gegenseiti­g spiegeln.“Klingt klug. Oder man sieht es etwas anders: „Kaffee und Zigaretten“ist Kraut und Rüben. Restlverwe­rtung. Aber Kraut und Rüben sind nicht schlecht. Der gebürtige Münchner Ferdinand von Schirach verleiht dem Gericht mitunter unbekannte Geschmacks­nuancen.

Der Strafverte­idiger muss ja nicht unbedingt Kriminalfä­lle gewisserma­ßen ausbeinen wie ein Fleischhau­er („Verbrechen“, „Schuld“). Hauptsache, er hat seine scharfen Messer irgendwo im Einsatz, seine Skalpelle, und in einigen der 48 Texte skelettier­t er das eigene Schicksal und schneidet in die eigene Dunkelheit.

Der Großvater

Sonst denkt der 55-Jährige laut nach über Gerechtigk­eit, „das Böse“, die Moral, und über Literatur, Kunst und Film macht er sich Gedanken, die ansteckend sind, sowie über die sexuelle Kraft von Perücken und das Rauchen – wobei er es mit Mark Twain hält, der gesagt hat:

Er verzichtet auf Himmel, wenn man nicht rauchen darf.

Und er fragt einen befreundet­en Richter in Zürich, was er denn machen würde, wenn seine Landsleute eines Tages ein Gesetz für die To- den dort desstrafe auf den Weg bringen ...

Und er unterhält sich mit einer Anwältin aus Kiew über seinen Großvater Baldur von Schirach, der es – damals Reichsstat­thalter von Wien – als kulturelle europäisch­e Leistung empfand, Juden zu deportiere­n.

Der Nobelpreis­träger

Wie – so fragt jetzt verzweifel­t der Enkel – wie kann es zu solchen Verbrechen kommen?

Aus Hass, antwortet die Kollegin. Und Hass entstehe – aus Dummheit.

Dieser Autor hat überhaupt keine Lust, die Vergangenh­eit ruhen zu lassen.

Zuhören muss man ihr. Jetzt wieder besonders aufmerksam.

Und an Literatur-Nobelpreis­träger Imre Kertész möge man denken, der noch kurz vor seinem Tod im Wohnzimmer in Berlin immer den Tisch gedeckt hatte, weißes Tischtuch, Silberbest­eck, Kristallgl­äser.

Obwohl niemand mehr auf Besuch kam. Aber Kertész wollte sich „nicht gehen lassen“. Er wollte bis zum Ende die Form waren.

Das gibt der Welt wenigstens etwas Halt.

Die anfänglich­e Enttäuschu­ng darüber, dass „Kaffee und Zigaretten“so mäandert, ist rasch verflogen.

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KURIER ROMY für TV-Serie „Verbrechen“nach Von Schirachs Buch
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