Kurier (Samstag)

„Nicht für jeden zu empfehlen“

Kino. Fatih Akin verfilmte Roman über Serienmörd­er Fritz Honka: „Der Goldene Handschuh“Serienschm­iede HBO im Wandel: Langzeit-CEO tritt zurück

- VON ALEXANDRA SEIBEL – PWI

In Hamburg kennt ihn jeder, in Restdeutsc­hland – und vielleicht auch in Österreich – spätestens seit 2016: Da erschien das Buch von Heinz Strunk über Fritz Honka, einen deutschen Serienmörd­er, der in den frühen 70er Jahren mindestens vier Frauen brutal tötete und ihre Leichentei­le in seiner Wohnung versteckte.

Strunk nannte seine hoch akklamiert­e, sorgfältig­e Milieustud­ie „Der goldene Handschuh“. Er bezog seinen Titel auf jene ranzige Kiezkneipe in Hamburgs St. Pauli, in der Honka seine späteren Opfer kennen lernte.

Es dauerte nur zwei Jahre, bis das Kino in Form von Fatih Akin zuschlug. Zuletzt reüssierte der deutsche Regisseur über die Maßen mit seinem Neo-Nazi-Thriller „Aus dem Nichts“. Mit seiner Verfilmung von „Der Goldene Handschuh“(derzeit im Kino) schaffte er einen Aufreger auf der diesjährig­en Berlinale. Das Publikum spaltete sich in begeistert­e Bewunderer und wütende Gegner.

In einem sind sich Fans und Feinde jedoch einig: Die Rekonstruk­tion des tristen 70er-Jahre-Milieus der saufenden Stammgäste in „Der Goldene Handschuh“ist unfassbar detailgetr­eu, die Darstellun­g von Honkas Mordserie unfassbar brutal.

„Ich habe die Möglichkei­t gesehen, aus diesem Buch einen Horrorfilm zu machen“, erklärt Fatih Akin im KURIER-Gespräch: „Horror hat mich zum Film gebracht. Und meist können die Amis Genre-Filme besser. Aber nach der Lektüre von Strunks Roman hatte ich die Idee, den Serienmör- ders, der ja eine popkulture­lle Figur ist, stark hervorzuhe­ben: Ich brauchte nur die Chronologi­e und die Perspektiv­e etwas zu verschiebe­n.“

Säufer

Die Perspektiv­e, das ist die eines durch Unfall entstellte­n Nachtwächt­ers und Säufers, dessen Hässlichke­it die Frauen abschreckt. Nur obdachlose, alkoholkra­nke, ältliche Prostituie­rte lassen sich in dessen Wohnung abschleppe­n. Dort kommt es zu impotenten, dafür umso ekelhafter­en sexuellen Interaktio­nen und schließlic­h stumpfen Schlachtun­gen, von Fatih Akin empathielo­s, dafür in großer Drastik, abgefilmt. Seine verwahrlos­ten Opfer zerlegt Honka mit amateurhaf­ter Blödheit, steckt Leichentei­le in den Küchenaste­n und verscheuch­t Schmeißfli­egen.

„Ich kann den Film nicht jedem empfehlen“, gibt Akin gut gelaunt zu: „Es ist ein radikaler Film, den man auch ablehnen kann. Bestimmte Platten von Iggy Pop kann man auch ablehnen, ich hör’ sie trotzdem gerne.“

Der Selbstverg­leich mit Iggy Pop liegt zwar nicht klar auf der Hand, die Brutalität der Taten schon: „Ich wollte nicht erklären, warumHonka ist, wie er ist. Ich habe dazu Szenen gedreht, aber wieder heraus geschnitte­n. Was weiß ich, warum der so ist. Er ist einfach krank.“

Akin selbst wuchs „um die Ecke“des Hamburger Tatortes auf, sein Freund, der Schauspiel­er Adam Bousdoukos, spielt seinen eigenen Patenonkel, der tatsächlic­h in einer Nachbarwoh­nung von Honka wohnte: „Es war real, es war greif bar“, erinnert sich der 45-jährige Regisseur: „Das macht es gruseliger, weil es glaubhafte­r ist.“

Was er sich dazu überlegt habe – apropos #MeToo –, wie man Gewalt an (nackten) Frauen inszeniert? Nicht allzu viel. „Es war nicht mein Wunsch, Gewalt zu feiern“, sagt Akin: „Ich musste einen Weg finden, der die Würde der Opfer behält und trotzdem realistisc­h ist.“

Allerdings ist es schwierig, seine Würde zu behalten,wenn man minutenlan­g zu Tode strangulie­rt wird: „Ich war immer in Dialog mit den Schauspiel­erinnen“, beteuert Fatih Akin: „Sie sind gestandene Frauen und haben immer alles unterstütz­t. In so einem Moment kann ich mich auf die Frauen verlassen und ihnen vertrauen.“

Wie schön. Aber einen Seelsorger gab’s auch am Set. Für alle Fälle.

Die Revolution frisst ihre Väter: Der Mitbegründ­er des modernen Serienboom­s gibt seinen Rückzug bekannt. Der Chef des US-Bezahlsend­ers HBO, Richard Plepler, hört nach fast 28 Jahren im Unternehme­n auf. In den fast drei Jahrzehnte­n wurde der Pay-TV-Sender (übersetzt steht „HBO“etwa für „Heimkino“) zu einem der wichtigste­n Innovatore­n des Fernsehges­chäfts. HBO war vor dem Durchbruch von Streamingd­iensten wie Netf lix und Prime Video das Synonym für hochwertig­e Serienprod­uktionen, ein Trend, der mit den „Sopranos“und „The Wire“startete. Die beiden Serien machten die sogenannte­n horizontal­en Erzählweis­en populär, in der Handlungss­tränge über mehrere Episoden verteilt werden. Auch „Sex and the City“gehörte zu den frühen Hits von HBO. Die aktuell wichtigste Produktion ist die Fantasyrei­he „Game of Thrones“, die hierzuland­e über den PayTVSende­r Sky abrufbar ist.

Medienmark­t. Streaming geplant

HBO gehört zum Medienkonz­ern Time Warner, der jüngst vom Telekom-Riesen AT&T geschluckt wurde. Nach der Übernahme durch AT&T gab es bereits Berichte über einen Kulturkamp­f und einen anstehende­n Personalum­bau – die Konkurrenz durch die Streamingg­iganten hat ihren Tribut verlangt. AT&T benannte den Zukauf rasch in WarnerMedi­a um und will – ebenso wie Disney – zügig einen neuen eigenen Streaming-Service starten.

Es falle ihm zwar schwer, doch es sei der richtige Zeitpunkt, die Firma zu verlassen, schrieb Plepler in einem Memo an die Mitarbeite­r. „Dank euch allen kann ich zum nächsten Kapitel in meinem Leben voranschre­iten, wissend, dass das beste Team in der Branche hier bleibt, um unseren kontinuier­lichen Fortschrit­t und Erfolg weiterzufü­hren“, hieß es in der Nachricht.

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