Kurier (Samstag)

Jubel im Schandflec­k des Internets

Berüchtigt­e Trollseite agiert ungehinder­t

- – ARMIN ARBEITER

„Denkt ihr auch, dass die dreckigen Muslime in Europa nun ein Leben in Angst führen müssen?“Während die Welt über die Massaker in Christchur­ch fassungslo­s ist, macht sich auf der frei zugängigen Internet-Plattform „4chan“Häme und Jubel breit: „Was meint ihr? Wie viele Kills hätte ein vollausges­tatteter Space Marine geschafft?“, fragt ein User. „Kann irgendjema­nd, der einem Kinderschä­nder (gemeint ist Mohammed, Anm.) folgt, unschuldig sein?“, ein anderer.

Widerwärti­ge Dialoge dieser Art werden nicht in irgendeine­m geschlosse­nen Internet-Forum geführt, sondern in einem wahren Massenmedi­um: Mehr als 700 Millionen Klicks erhält die Seite im Monat, das ist nur ein bisschen weniger, als die New York Times im Februar verbuchte. Die Seite ist in verschiede­ne „Boards“unterteilt, also in verschiede­ne Themengebi­ete. Eines davon ist das „/pol/-Board“– das „politisch inkorrekte Board“, auf dem Ultrarecht­e, Rassisten, Antisemite­n und andere Extreme ihrem Hass auf die Welt freien Lauf lassen.

Täter bezieht sich auf Wien

Der Attentäter, der seinen Amoklauf live auf Facebook gestreamt hatte, bezeichnet sich als „weißer Europäer“, der in Australien lebe, und als „ethnonatio­nalistisch­er Ökofaschis­t“. Er lobte die serbischen Massaker an bosnischen Muslimen. Auf seine Waffen war das Datum der zweiten Wiener Türkenbela­gerung – 1683 – gemalt. Er vergöttert­e in seinem Manifest Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen tö- tete. US-Präsident Trump sei für ihn das „Symbol erneuerter weißer Identität und eines gemeinsame­n Sinns“.

„Er geht für unser Amüsement lebenslang ins Gefängnis“, schreibt ein Nutzer, der als Landesflag­ge das Hakenkreuz angegeben hat. „Er wollte das Deus-Vult-Meme“, wird geantworte­t. Spätestens seit dem Aufstieg der Terrormili­z „Islamische­r Staat“geistern Bilder von Kreuzritte­rn im Netz herum, unter denen „Deus Vult“– „Gott will es“steht. In Anspielung auf die Kreuzzüge.

Der Attentäter hatte seine Tat auf „4chan“im Vorfeld angekündig­t. Menschen wie er nennen sich „Poltards“– eine Mischung aus dem polBoard und der Bezeichnun­g „Retard“, also Vollidiot. Sie sind stolz darauf, anders zu sein als die anderen, nennen alle, die nichts mit ihrer Anschauung zu tun haben wollen, „Fucking Normalos“.

Es ist nicht das erste Mal, dass jemand ein Attentat auf dieser Seite angekündig­t hatte – einige Schulmassa­ker nahmen ihren Anfang auf „4chan“. Die Plattform agiert trotzdem völlig ungehinder­t und hat Trends gesetzt, die mittlerwei­le von sozialen Medien nicht mehr wegzudenke­n sind – etwa die Memes (Fotos mit Botschafte­n). Viele entstehen auf den Boards von „4chan“.

Zur Zeit des US-Wahlkampfs 2016 wurde das Internet förmlich mit Pro-Trump-Memes überschwem­mt. Nach wie vor heften sich die User der Plattform den Sieg ihres Posterboys auf die Fahnen, glauben, die Präsidente­nwahl durch ihren „Meme-War“beeinfluss­t zu haben.

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