Kurier (Samstag)

An Mutter erinnert der Schotter bei den Baracken

Ein Besuch im Konzentrat­ionslager. Was war, mag vernarben. Aber es ist nie beendet.

- VON PETER PISA

In jedem Krieg steckt der Keim eines neuen Krieges. Einer greift in den anderen. Auf den ersten folgt der zweite, und es liegt schon der dritte in den Windeln ... ein dritter Krieg?

So diagnostiz­iert Florjan Lipuš im aktuellen Roman.

Zwischen den Kriegen müsse nur immer eine Pause sein, um frisches Kanonenfut­ter heranzuzie­hen.

Misstrauen

„Schotter“heißt sein Buch bzw. sein Schrei. Der Kärntner Autor, der in seiner Mutterspra­che Slowenisch schreibt, ist 81. Ende 2018 wurde er mit dem Großen Staatsprei­s ausgezeich­net.

Diesmal folgt er „Ausflügler­n“bzw. „Gedächtnis­gehern“ins KZ – nicht heute findet der Besuch statt, sondern vielleicht zehn, vielleicht 20 Jahre nach dem letzten (dem zweiten) Krieg.

Jedenfalls sind diejenigen, die nicht mitgegange­n, sondern im Dorf geblieben sind, misstrauis­ch. Man könnte in ihnen „Schuldige“sehen, die Kärntner Slowenen vertrieben haben.

Vermutlich führt Lipuš’ Reise in das Frauen-Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k (Brandenbur­g). Dort wurde seine Mutter am 3. Februar 1945 in der Gaskammer ermordet. Sie hatte Partisanen bewirtet. Aber das waren gar keine Partisanen, sondern verkleidet­e GestapoMän­ner.

Maria Lipuš wurde weggebrach­t, während ihr Mann (der Vater) in der Wehrmacht „dienen“musste. Florjan war damals sechs.

Jetzt kann am Ort des Grauens der schwarze Schotter zwischen den Baracken besichtigt werden. Appellplat­z. Hinrichtun­gsmauer.

Zwei Kinder, die mitgegange­n sind, überlegen: Wenn ihnen die Großmutter erscheinen sollte – sollen sie du zu ihr sagen? Sie siezen?

Es gibt nichts Körperlich­es mehr. Ist es Einbildung, dass man Rauch riecht, wo Menschen verbrannt wurden, die erschossen, erschlagen, vergast wurden.

Florjan Lipuš bettet den Schrecken in gewohnt lyrische Sätze. Das hebt den Kontrast, wenn er vom Totpeitsch­en, vom Gas und vom Genickschu­ss schreibt.

Sein Sohn Marko Lipuš wählte einen anderen Weg gegen die Vergänglic­hkeit, er fotografie­rte im KZ und hat danach die Bilder verändert, zerkratzt – wie es so seine Art ist, um die Narben der Welt festzuhalt­en.

Oder er machte sie heller, fast weiß, damit man gezwungen ist, genau zu schauen. Sonst schaut man weg. Sein Buch „Babica“ist im Residenz Verlag erschienen.

Ob Florjan Lipuš Sprachoder Marko Lipuš Fotokunst: Es ist immer ein Erinnernwo­llen und ein Vergessenm­üssen (nur manches) ... und „nichts Gewesenes ist beendet, nichts Zukünftige­s hat begonnen“(F.L.).

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Florjan Lipuš, wie ihn sein Sohn Marko, Fotokünstl­er in Wien, sieht
 ??  ?? Florjan Lipuš: „Schotter“Übersetzt von Johann Strutz. Verlag Jung und Jung. 144 Seiten. 20 Euro.
Florjan Lipuš: „Schotter“Übersetzt von Johann Strutz. Verlag Jung und Jung. 144 Seiten. 20 Euro.
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