Kurier (Samstag)

Mit Güte und Gottes Hilfe

Theater in der Josefstadt. Johannes Silberschn­eider begeistert in „Jacobowsky und der Oberst“Okwui Enwezor, Kurator von Documenta und Biennale, ist tot

- VON THOMAS TRENKLER – MICHAEL HUBER

Schon wieder ein grafitschw­arzes Bühnenbild im Theater in der Josefstadt – und schon wieder das Thema „Juden auf der Flucht vor den Nazis“. Aber, und das kann man der Inszenieru­ng von Franz Werfels letztem Stück „Jacobowsky und der Oberst“nicht hoch genug anrechnen: Die Limousine, mit dem sich die beiden Titelhelde­n 1940 von Paris bis zur Atlantikkü­ste durchschla­gen, ist nie im Bild. Auf fröhlicher Ausfahrt im niedlichen Fahrgeschä­ft-Auto, bei dem sich das Lenkrad durchdreht: Diesen Kitsch überlässt Ausstat- terin Karin Fritz dem Sommerthea­ter von Reichenau.

Sie baut lieber wirkmächti­ge Szenarien aus wenigen Elementen, ergänzt sie um jeweils ein sehr markantes Objekt – und demonstrie­rt, wie man einen Strommaste­n imposant umknickt. Die Neonbuchst­aben „HOTEL“leuchten verloren in der Nacht, der Billardtis­ch determinie­rt das Café der Gestrandet­en, zudem viel Nebel im Morgengrau­en: Unweigerli­ch denkt man (gerade beim rührenden Schluss) an „Casablanca“.

Der Herr Direktor hat natürlich sich selbst mit der Rolle des Feschaks besetzt. Der polnische Oberst Tadeusz Boleslav Stjerbinsk­y ist ein Frauenheld und James-Bond-Vor- läufer, der den Cognac nie aus dem Papierbech­er trinken würde. Zunächst ähnelt die Figur dem seriösen Kapitän, den Föttinger in der FluchtGesc­hichte „Reise der Verlorenen“gibt. Doch mit der Zeit wird der Charmeur zur wehleidige­n, eifersücht­igen, hasserfüll­ten Karikatur. In der klaren, unaufgereg­ten Inszenieru­ng von Janusz Kica macht Föttinger alles mit.

Überideali­sierte Figur

Der Held des zweidreivi­ertel Stunden langen, aber kurzweilig­en Abends ist Johannes Silberschn­eider als jüdischer Kaufmann Jacobowsky, dessen Odyssee von Berlin über Wien und Prag geführt hat. Er macht die von Werfel überideali­sierte Figur mit ihren ausschließ­lich positiven Eigenschaf­ten wie Demut, Geist und Bildung ungemein menschlich. Akkurat gekleidet im Dreiteiler und schweren Mantel serviert er jede Pointe, jedes Bonmot, jeden Aphorismus mit großer Gelassenhe­it. Und er verzichtet – äußerst wohltuend – auf jede Form des Herumjüdel­ns. Das dümmliche Sprechen mit Akzent überlässt er lieber Föttingers aufbrausen­dem Oberst und dessen Burschen (Matthias Franz Stein).

Jacobowsky, grenzenlos­er Optimist, weiß in allen Gefahrensi­tuationen eine geniale Lösung. Und Werfel, der eigene Fluchterle­bnisse verarbeite­te, steht ihm mit gött- licher Hilfe zur Seite. Da werden superböse, sächselnde Nazischwei­ne (Wojo van Brouvwer) ausgetrick­st – und Jacobowsky betört zwischendu­rch Marianne, des Obersts Braut, mit Blumen und Güte.

Pauline Knof macht die Entwicklun­g von der naiven Landpomera­nze zur Résistance-Kämpferin durchaus glaubhaft. Was aber am meisten erstaunt: Dass in der Josefstadt mit dem Humanpoten­zial geradezu geurasst wird. Denn jede noch so kleine Rolle wurde besetzt. Und so darf man sich an Miniaturen unter anderem von Ulli Maier, Alexander Absenger, Johannes Seilern und Siegfried Walther erfreuen.

Todesfall.

Dass die zeitgenöss­ische Kunst sich verstärkt mit den Nachwirkun­gen des Kolonialis­mus beschäftig­t und vermehrtes Augenmerk auf Länder Asiens und Afrikas legt, ist heute fast selbstvers­tändlich. Dass es zu dieser Verlagerun­g weg von einem westlich zentrierte­n Kunst-Weltbild kam, ist nicht zuletzt Okwui Enwezor zu verdanken, der nun im Alter von 55 Jahren seiner Krebserkra­nkung erlegen ist.

Der gebürtige Nigerianer, der in den 1980ern zunächst in den USA als Lyriker aktiv wurde, wurde 2002 Leiter der documenta 11 in Kassel. Dabei setzte er ein massives Zeichen für die Einbindung von Kunstschaf­fenden aus nicht-westlichen Staaten. Als Kurator der Venedig-Biennale von 2015 verstärkte er das Bekenntnis zu politisch engagierte­r Kunst.

Weniger glücklich wurde Enwezor als Leiter im Haus der Kunst München, wo er mit finanziell­en Problemen zu kämpfen hatte und sich gemobbt fühlte. Mitte 2018 legte er seine Funktion aus gesundheit­lichen Gründen zurück: Er hatte Krebs. Nun ist Enwezor dieser Krankheit erlegen, wie die Biennale Venedig am Freitag via Twitter bekannt gab.

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Hängt am Leben – und dankt für geniale Eingebunge­n: Johannes Silberschn­eider als Jacobowsky

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