„Wir schweben durch das Stück“
Theater an der Wien. Lotte de Beer inszeniert Tschaikowskys Meisterwerk „Jungfrau von Orleans“
Ein junges Mädchen mit einer vielleicht „göttlichen“Berufung. Ein Land im Krieg. Ein bigotter Vater. Ein großer König am Rande des Abgrunds. Ein wankelmütiges Volk. Ein Fremder auf dem Schlachtfeld, der plötzlich Liebe entfacht. Und ein Scheiterhaufen, der auf eine tapfere Kriegerin wartet. Das sind die Zutaten von Peter Iljitsch Tschaikowskys großer Oper „Die Jungfrau von Orleans“.
Im Theater an der Wien zeigt die gefeierte Regisseurin Lotte de Beer ab heute, Samstag, ihre Interpretation des auf Friedrich Schiller basierenden Stoffes der legendären französischen Ikone. Und – das darf schon verraten werden – Lotte de Beer nimmt Schiller und Tschaikowsky (er schrieb selbst das Libretto) beim Wort. „Wir schweben uns durch das Stück“, betont De Beer im KURIERGespräch.
Seelendrama
Denn: „Wir wollten das Werk in keiner bestimmten Zeit verorten, sondern vielmehr das Seelendrama einer jungen, pubertierenden Frau zeigen, die unter dem Einfluss mächtiger Männer steht. Da wäre zunächst ihr Vater, der seine Tochter aus Gründen der Versorgung nur allzu gern verheiraten möchte. Dann gibt es König Karl, der von Johanna die Erlösung von dem englischen Feind erwartet. Und noch den britischen Kämpfer Lionel, der in Johanna bis dato unbekannte Gefühle der Liebe auslöst. Dieses sehr spannungsgeladene Dreieck zwischen Familie, Vaterland und Zukunftsvision hat uns bei dieser Arbeit interessiert“, sagt Lotte de Beer.
Und wer die Regisseurin kennt – unvergessen ist etwa ihre grandiose Dschungelcamp-Deutung von Georges Bizets „Perlenfischer“–, weiß, diese Jungfrau von Orleans wird zu einer „für das Publikum hoffentlich packenden Psychostudie“.
„Johanna fühlt sich in jeder Hinsicht schuldig, sie weiß nicht, welchen Weg sie einschlagen soll. Sie ist eine Getriebene, ja ein Spielball. Mit dem hehren Gedanken der Heiligen kann ich nicht so viel anfangen“, sagt Lotte de Beer. Mich interessieren immer die Menschen, weitaus weniger die Mythen, das aber in spielerischer Weise.“
Dem Theater an der Wien fühlt sich Lotte de Beer „auf besondere Art“verbunden. „Hier kann man seine Kreativität völlig entfalten, kann gemeinsam mit allen Beteiligten auf eine Reise gehen.“Und: „Allein der Arnold Schoenberg Chor, dem in Tschaikowskys ‚Jungfrau von Orleans‘ eine ganz zentrale Bedeutung zukommt, ist ein Ereignis für sich. An der Wien lebt das Musiktheater der Gegenwart, und das Publikum ist sehr offen.“
Denn, so Lotte de Beer: „Wir haben so viele großartige Opern, die wir miteinander teilen können, die uns auch heute extrem viel zu sagen haben. Es gibt innere Konflikte, die zeitlos sind. Das möchte ich zeigen.“